piwik no script img

Meine StraßeDie Pforte zum Himmelreich

■ Das Ende der Welt ist eine Einbahnstraße mit Spätkauf und einer Kneipe, die den Blues hat. Ganz ohne Zugluft.

In meiner ersten Zeit in Berlin, so vor vier oder fünf Jahren, träumte ich immer mal wieder den selben Traum: Ich suchte Berlin verzweifelt nach einer bestimmten Straße ab. Mit Kopfsteinpflaster, Blumenkübeln und schnuckeligen Fachwerkhäusern sollte sie sein, wie in einer langweiligen westdeutschen Kleinstadt. Einmal träumte ich diese Straße: Irgendwo in Mitte musste man durch ein Kirchenportal wie Ali Baba, und dahinter öffnete sich endlich das Märchenreich. Jetzt, nachdem ich vier- oder fünfmal umgezogen bin, ist es, als hätte ich mir die Straße, in der ich nun vielleicht länger bleibe, nach diesem Traum ausgesucht.

Die Dietrich-Bonhoeffer-Straße kennt niemand, auch nicht die Taxifahrer, die immer fluchen, weil sie nur in eine Richtung geht. Sie ist Niemandsland, weil sie wenig zu bieten hat. Trotzdem: Fährt man von unten, der zugigen Greifswalder Straße, in sie rein, glaubt man gleich: Hier war mal eine Pforte. Abgeschottet vom brausenden Verkehr auf der Danziger, säumen idyllisch kleine Kirschbäume den Weg. Es ist eng und gemütlich.

Die Bonhoeffer führt auf den Arnswalder Platz und im Winter guckt man auf den hässlichsten Fleck Berlins: Einen klumpigen Fruchtbarkeitsbrunnen aus rotem Sandstein mit Stieren und muskulösen Frauen. Im Sommer sieht es besser aus: Da fährt oder geht man auf einen grünen Fleck zu. Rechts ein Bilderrahmengeschäft, in dem ich noch nie einen Käufer gesehen habe. Links ein total toller Bolzplatz, wo immer was los ist. An den Häusern, die noch nicht billig zitronenpuddinggelb angemalt sind – schicke Sanierungsideen, Mieterinitiativen oder Begrünungsprojekte gibt es hier nicht –, erkennt man noch Einschusslöcher. Die brach liegenden Bombenlöcher, noch nicht wieder aufgefüllt, geben den Blick frei in intime Hinterhöfe: Schrottabladeplätze, in denen ich schon super Sachen gefunden habe: Eine Seilwinde, die ich mal montieren werde, um die Kohlen leichter in den vierten Stock zu kriegen. Eine jetzt wieder hippe Lampe habe ich leider nicht gleich mitgenommen, später war sie weg, und eine alte Vermona-Orgel hat mir ein kleiner Junge weggeschnappt, der sie früher gesehen hat.

Die Bonni, wie sie in unserer WG geliebkost wird, hat zwei geheime Zentren: Da ist erstens der Spätkauf, der vollhängt mit DDR-Urkunden für besonderes verkäuferisches Engagement. Hier gibt es alles. Auch für die Penner vom Arnswalder Platz. Außerdem wird man gut beraten, zum Beispiel über die Vorzüge von Knäckebrot-Knusperflocken Ost gegenüber Choko Crossies West.

Dann ist da aber auch noch Uncle Tom's Hütte. Uncle Tom's Hütte ist eine Kneipe, in die nur Ossis über vierzig gehen. Hier tanzt jeden Abend der Bär: Ein Bärtiger, langhaarig Zugewachsener, der wahrscheinlich Knut oder Ulf heißt, sitzt allabendlich mit seiner Frau, ein paar Kumpels und deren Frauen um den runden Tisch, spielt Gitarre, singt traurige Lieder und hat den Blues. Wie der Bob. Bei offenen Fenstern träumt man Sommers also immer mit Soundtrack. Allein traut man sich da nicht rein. Einmal war ich nach dem Kino geschlossen mit meiner WG drin. Ein jüngerer Typ in schwarzen Klamotten servierte uns mit verschwörerischer Miene Kiba und legte eine Kassette mit „People Are People“ von Depeche Mode ein. Was ein Glück, wenigstens kein Rammstein. Ging aber nicht lange gut. Bob leistete Widerstand.

Ach ja: Ganz an ihrem Ende versucht die Bonhoeffer neuerdings, an die weite Welt anzudocken. Im neuen Café Momo gibt es seit vier Wochen zwanzig Stunden am Tag Happy Hour, weil die Kundschaft ausbleibt. Der Tresen ist mit Teppich beklebt, und die Wände ziert Backsteintapete. Wird den Aufstand gegen Uncle Tom wohl bald aufgeben. Susanne Messmer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen