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„Heute Viagra-Eis“ steht auf der Tafel am Eiscafé

■ Über Fremdheit und Völkerfreundschaft am Beispiel der „Eisleute“ (22.55 Uhr, ARD)

Anfangs sieht man nur ein Paar Beine in ausgetretenen Birkenstocklatschen. Hier wird ein Erdbeer-Eisbecher gewünscht, der Prosecco ist für den Stammkunden. An die zehn Kilometer täglich legt Gabriele Soravia in seiner italienischen Eisdiele im Schwarzwald zurück. Baiersbronn ist puppenhaft ordentlich. Baiersbronner kommen nur gelegentlich in Gabrieles schnieke Eisdiele – sie “gehen nicht zum Fremden“. An den Tischen sitzen meist Auswärtige. Gabriele lächelt.

Hannelore Conradsen und Dieter Köster finden einen cleveren Einstieg für ihren Dokumentarfilm über den italienischen Eismann, seine Familie und Angestellten. Sie stellen Gabriele nicht vor, sondern lassen die Schwaben reden. Ein beredter Kniff: „Die Italiener haben immer gute Laune!“ sagt der Kurverwalter – oder war es einer aus der Runde der Achtzigjährigen? „Der Italiener ist immer fröhlich!“

Der Vierzigjährige aus dem Dolomitendorf Venas fühlt sich wohl im Schwarzwald. Er hätte es gern, wenn die Straßen auch in Venas so in Schuss wären. „Heute Viagra-Eis“ steht auf der Tafel am Eiscafé. Gabriele sieht die Völkerfreundschaft nüchtern: „Die Deutschen lieben die Italiener, aber sie bewundern sie nicht. Italiener bewundern die Deutschen, aber sie lieben sie nicht.“ Bingo.

Der Informationsgehalt dieser Dokumentation ist hoch. Arbeitsemigranten trugen ihre Eiskonditor-Künste aus den Dolomiten in die ganze Welt, nach Buenos Aires, Prag oder Warschau. 14-Stunden-Tag in Gabrieles Eisdiele – ihre in Italien lebenden Familien sehen die Eisleute selten. Man lebt die meiste Zeit getrennt, weil die Kinder der Wurzeln wegen in Italien zur Schule gehen, aber nicht ins Internat sollen. Gabriele, der selbst im Internat war, bekommt heute noch Magenschmerzen, wenn er zwei-, dreimal im Jahr auf dem Weg nach Venas an dem Gebäude vorbeifährt.

Gabriele ist ein Charakter, er trägt diesen Film mühelos. Als Zuschauer ärgert man sich allerdings, wenn die Fragen von Conradsen/Köster nicht einfach nur dem Gegenstand ihres Films folgen, sondern auch gleich Antworten suggerieren und sogar vorgeben: Die kleine Tochter der Saisonkellnerin lebt bei Oma in Sizilien – und nicht bei Mama!!! Man hört direkt das freche Entsetzen.

„Eisleute“ krankt an mangelnder Distanz, also am mangelnden Respekt Seitens der Autoren. Da wurden sie schon so freundlich eingeladen in Gabrieles Leben und drängeln sich trotzdem noch vor. Unbedingt wollen sie Gabrieles Eisgeheimnis erschnüffeln. Könnte doch schon ein möglichen Grund dafür sein, dass die Italiener die Deutschen nicht lieben.

Dass „Eisleute“ dennoch vermittelt, wie schwierig es ist, als „mobiler Europäer“ zwischen zweimal Heimat zu balancieren, ist nahezu Glück. Anke Westphal

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