In Osttimor wächst die Angst vor später Rache

Wenige Tage vor dem Referendum über die Zukunft des Landes drohen die Gegner der Unabhängigkeit mit einem Blutbad  ■   Aus Dili Jutta Lietsch

„Sie haben es einfach nicht kapiert“, sagt der osttimoresische Student Joao und greift sich verzweifelt an den Kopf. „Sie“, das sind 50 Bewohner der Bezirkes Baucau, zwei Autostunden östlich der Hauptstadt Dili. Mit ihnen haben Joao und seine Freunde am Wochenende die Volksabstimmung geprobt. Das Ergebnis ist niederschmetternd. Nur drei der Probanden verstanden die komplizierten Fragen des historischen Referendums, das am Montag über die Zukunft Osttimors entscheiden wird: „Akzeptieren Sie die vorgeschlagene spezielle Autonomie innerhalb des einheitlichen Staates der Republik Indonesien?“ steht dort. Daneben ist ein Bildchen gedruckt, auf dem die Inselhälfte Osttimor mit der rotweißen indonesischen Flagge und dem Symbol der UNO zu sehen sind. Neben der Gegenfrage: „Lehnen Sie die vorgeschlagene spezielle Autonomie für Osttimor ab, mit der Folge einer Trennung von Indonesien?“ steckt die bunte Fahne der Unabhängigkeitsbewegung in dem Bild Osttimors, begleitet von der blauen UNO-Weltkugel.

Dass viele der 450.000 wahlberechtigten Osttimoresen schlicht an dem verwirrenden Fragebogen scheitern könnten, zählt derzeit aber zu den geringeren Sorgen der UNO-Mission in Osttimor (Unamet). Viel dramatischer sind die offenkundigen Versuche einflussreicher Kräfte aus Djakarta, die Abspaltung der 1976 gewaltsam annektierten „27. Provinz“ Indonesiens mit allen Mitteln zu verhindern. Zwar war es in der Hauptstadt Dili in den letzten Tagen relativ ruhig. Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung des inhaftierten Rebellenchefs José Alexandre „Xanana“ Gusmao konnten auf Lastwagenkonvois durch die Straßen ziehen. Doch wenige Kilometer außerhalb der Stadt terrorisieren proindonesische Banden nach wie vor die Bevölkerung – oft direkt unterstützt von Polizei und Militärs. Tausende Dorfbewohner sind inzwischen aus ihrer Heimat vertrieben worden, Häuser von vermuteten Anhängern des „osttimoresischen Widerstandsrates“ gingen in Flammen auf. Studenten, die in den Dörfern für die Unabhängigkeit warben, wurden gefoltert und erschossen aufgefunden. Milizenführer und Distriktchefs, die ihren Posten der Regierung in Djakarta verdanken, kündigten erst am Wochenende wieder ein Blutbad an, falls Indonesien beim Referendum verliert. Die 271 PolizistInnen und 50 Militärbeobachter mit den blauen Kappen, die ihre indonesischen Kollegen „beraten“ sollen, sind frustriert. Der Grund: Sie sind völlig machtlos. Nach dem Abkommen über das Referendum ist allein die indonesische Polizei für die Sicherheit in Osttimor zuständig.

Damit wurde der Bock zum Gärtner gemacht: Denn längst ist es ein offenes Geheimnis, dass Armee und Polizei in den letzten 24 Jahren grausam geherrscht haben. Ein Viertel der Bevölkerung kam unter ihrem Regime ums Leben. Viele der Verantwortlichen sitzen bis heute an hoher Stelle in Djakarta. Das weiß Unamet-Chef Ian Martin, der früher jahrelang bei amnesty international war, sehr genau. Dennoch, sagt er, habe er die Aufgabe übernommen, das Referendum vorzubereiten. Bestärkt sei er durch die Unterstützung der Bevölkerung, die alles daran setze, sich ihre wohl einzige Chance auf Selbstbestimmung nicht nehmen zu lassen. Trotz der Einschüchterungen wagten es immerhin 450.000 Osttimoresen, sich von der UNO für das Votum registrieren zu lassen, weit mehr als erwartet.

Nun könne er nur hoffen, „dass sich die indonesische Regierung an ihre Versprechen hält, das Ergebnis zu akzeptieren“. Starker internationaler Druck sei allerdings nötig. Als kleinen Hoffnungsschimmer sehen einige Mitarbeiter, dass der bisherige berüchtigte Militärkommandant für die Region, Oberst Tono Suratnam, kürzlich überraschend abgelöst wurde. Um zu verhindern, dass es zu Racheaktionen gegen bestimmte Dörfer kommt, in denen die Mehrheit am kommenden Montag für die Unabhängigkeit stimmt, sollen alle Wahlzettel in Dili zusammengemischt werden, bevor die Auszählung beginnt. Das Resultat wird eine Woche später gleichzeitig in New York und Dili bekanntgegeben werden. Was geschieht, falls es danach zum angedrohten Blutbad kommt, mögen sich die UNO-Mitarbeiter am liebsten gar nicht erst vorstellen. Denn selbst wenn sich der Sicherheitsrat doch noch entscheiden sollte, bewaffnete Blauhelme zu schicken, kämen die wohl zu spät: „Das würde mindestens sechs Wochen dauern“, heißt es in Dili.