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■ Zeitgemäße Sicherheitsstandards für Atomkraftwerke
Das Risiko eines Super-GAUs à la Tschernobyl wurde ebenso unterschätzt wie die Gefährlichkeit der freigesetzten Strahlung, urteilt das Umweltministerium. Die Richtlinien müßten an diesen neuen Erkenntnisstand angepasst werden. Die Konsequenz: Alle laufenden AKWs wären nicht mehr genehmigungsfähig. Und damit nicht genug. Die neuen Sicherheitserkenntnisse berechtigten den Gesetzgeber außerdem, so das Umweltministerium, die Atomkraft neu zu bewerten und die Betriebsgenehmigungen für die AKWs zu begrenzen.
„Ein kerntechnischer Unfall mit erheblichen radioaktiven Freisetzungen wäre in einem Zeitraum von 50 Jahren (...) mit einer Sicherheit von ca. 1% zu erwarten“, fasst das Papier zusammen. Als die meisten Atommeiler genehmigt wurden, sei man hingegen davon ausgegangen, dass ein Unfall „praktisch ausgeschlossen“ sei.
Gleichzeitig schätze die Internationale Strahlenschutzkommission seit 1990 (nach der Auswertung der Strahlenschäden von Hiroschima und Nagasaki) „das Risiko, an radioaktiver Strahlung zu sterben, viermal höher ein als zuvor“. Die Folge: „Die vorliegenden Nachweise der Störfallsicherheit der laufenden Atomkraftwerke genügen diesem Kriterium nicht.“
Die Lehren seien noch gar nicht in Rechtsvorschriften eingegangen: „So zeigte sich in Deutschland beispielsweise, dass Belastungen über üblicherweise nicht betrachtete Pfade und Nahrungsmittel erheblich zur Gesamtstrahlenbelastung beitrugen.“
Fazit: „Die integrale Schadenswirkung nimmt mit der Summe der Einzelschäden überproportional zu. ... Im Rahmen einer Neubewertung des kerntechnischen Risikos kann deshalb vom Gesetzgeber entschieden werden, ob er auch für Altanlagen das nach heutigen Erkenntnissen anzunehmende Schadensausmaß als Maßstab für die Sicherheitsvorkehrungen ... anwenden will.“ Das Wirtschaftsministerium zog diese Analyse allerdings in einem Arbeitsgruppengespräch in Zweifel. Sie stelle nicht den allgemein akzeptierten Wissenstand dar, heißt es in einem der taz vorliegenden Protokoll vom 3. 8. 99.
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