: Jenseits der Nutzinformation
■ Feinmotorische Neutöner auf dem „Hör-Bar Festival“
Hamburger Schule, Kölner Schule – wenn es schnell gehen muss funktionieren diese Zuschreibungen immer noch. Kaum jemand käme auf die Idee, mit „Hamburger Schule“ jene Gruppe von Künstlern und Musikern zwischen Obskurpop, Performance und musique concrete zu identifizieren, die sich um die atonale „Hör-Bar“ schart. Und wer würde bei der Trademark „Electric Cologne“ an das Duo Klangwart oder das Institut für Feinmotorik denken?
Für den Undergroundstatus dieser Phänomene steht exemplarisch das Kölner Staubgold-Label, das den ersten Abend des Hör-Bar Festivals bestreiten wird. Impresario Markus Dettmer, selbst eine Hälfte von Klangwart, hat aber als Verleger von Gruppen wie dem Institut für Feinmotorik oder dem Hamburger Grönlandorchester Entwürfe von elektronischer Musik veröffentlicht, die genug Substanz haben, um nicht einfach als Noveltygag abgetan zu werden. Das Institut arbeitet ausschließlich mit Plattenspielern. Ganz im Gegensatz zur DJ Culture aber, werden dabei die Geräte auf ihr Klangspektrum jenseits der Wiedergabe von Nutzinformationen – sprich: „Musik“ – untersucht. Da stolpert der Tonarm über Gummibänder und reibt sich die Nadel an Papier und Styropor. Bei aller Ironie, die im Namen steckt, sind ihre komplexen, rhythmischen Kollektivimprovisationen genau dies: feinmotorisch.
Offensichtlich poppiger, wenn auch nicht weniger komplex agiert das Grönlandorchester um Jyrgen Hall und Günter Reznicek, der durch unermüdliche Performances in Köln mindestens so gefragt ist wie in Hamburg. Bleiben noch Klangwart, die mit ihrer LP „Köln/Olpe“ der Autobahnfahrt in die sauerländische Provinz eine Hymne der Minimalelektronik gewidmet haben. Der Samstag, ganz in Hamburger Hand, ist von den Veranstaltern als Brachial-Sound-Abend ausgegeben. Ein Projekt nennt sich Notstandskomitee, ein anderes Zy-nik.
Zu den wenigen Informationen, die sie von sich preisgeben, zählt der Hinweis, dass sie selbstgebaute Klangkörper bearbeiten. Nimmt man noch Scot Generic hinzu, der einen pyrotechnischen Auftritt namens „Demons Eating my Flesh And Drinking My Blood“ verspricht, verstärkt sich der Eindruck, es hier mit Vertretern einer eher an martialischem Industrial angelehnten Klangkunst zu tun zu haben. Trotz etwaiger Vorbehalte: Man sollte es einfach ausprobieren. Denn: Wer zu viele marsianische Mäuse gesehen hat, für den könnten Schallplattenspieler-Mechaniker und Feuerspucker vielleich sehr hilfreich sein. Felix Klopotek
27. und 28. August, 21 Uhr, Mediadeck, Rödingsmarkt 14
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