: Ganz gewiss kein Headbanger
Zur Überraschung der Konkurrenz wird Charles Friedek Dreisprung-Weltmeister. Schwieriger ist es für ihn, in eine Kölner Disko zu gelangen ■ Aus Sevilla Matti Lieske
Charles Friedek ist aufrichtig empört. Nicht etwa über Gerüchte, dass es einen Protest der Engländer gäbe, weil er bei seinem Satz von 17,59 m, der ihm den Weltmeistertitel im Dreisprung brachte, auf die Bahnbegrenzung getreten war. Auch nicht über die despektierliche Bemerkung des zweitplazierten Bulgaren Rostislaw Dimitrow, dass dieser zwar damit gerechnet habe, dass Bronzemedaillist Jonathan Edwards jederzeit über 17,50 m springen könne, auf gar keinen Fall aber damit, dass Friedek dazu in der Lage wäre. Nein, empört ist der 28-Jährige über die Bemerkung eines Reporters bezüglich seines Berufswunsches. „Nicht arbeiten müssen“, hatte der Dreispringer, der sein Jurastudium unterbrach, um sich voll der sportlichen Karriere widmen zu können, erst gesagt, dann aber hinzugefügt, er wäre gern Musikproduzent. „Heavy Metal?“ fragte besagter Reporter und fing sich einen Blick ein, als habe er vorgeschlagen, Friedek möge nackt im Playboy posieren. „Sehe ich aus wie ein Headbanger?“ fragte der Leverkusener schwer indigniert. Sieht er eindeutig nicht. Eher so, wie es die folgende Charakterisierung seiner bevorzugten Musikrichtung nahelegt: „Black“.
Charles Friedek ist ein „G.I.-Kind“, wie er es nennt, seine Eltern trennten sich, als er sechs war, seinen amerikanischen Vater hat er seitdem nicht mehr gesehen. Wegen seiner Hautfarbe sei er als Kind oft gehänselt worden, und es wäre schon eine Genugtuung gewesen, als er durch sportliche Erfolge zunächst zu lokaler Berühmtheit gelangte. Erst spielte er Fußball im DSV Kleinenlinden bei Gießen, bis jemand sagte, er sei doch so schnell, warum er es nicht mal mit Leichtathletik versuche. Zum Dreisprung kam er dann auf pragmatische Weise. „Ich wollte unbedingt einen Kreisrekord“, erinnert er sich, also habe er sich eine Liste besorgt und die Disziplinen durchprobiert. „Den Rekord im Dreisprung habe ich gleich um einen Meter verbessert.“ Da war er 17, und die Weite betrug, wie er noch genau weiß, 13,37 m.
In Sevilla musste er schon mehr als vier Meter weiter hüpfen als damals, um in den Medaillenbereich zu gelangen, und erstmals bei einem wirklich großen Wettkampf gelang ihm das auch. Bei Olympia in Atlanta war er mehr damit beschäftigt gewesen, seine berühmten Kontrahenten zu bestaunen als sich auf seine Sprünge zu konzentrieren, und scheiterte knapp in der Qualifikation, bei der WM 1997 in Athen wurde er ein Opfer seiner Nerven. Die Erfahrung aus diesen misslungenen Wettkämpfen zahlte sich jetzt aus. Als ihn der Italiener Canussi auf den vierten Platz verdrängt hatte, sei er „ein bisschen wütend“ geworden. „Oh nein, bloß kein Italiener“, habe er gedacht, alles in den nächsten Sprung gelegt und sei nach der Landung selbst am meisten erstaunt gewesen, wie weit er geflogen war. Der Rest bestand aus Warten, da er wegen einer Fersenverletzung, die ihn fast zur Absage der WM gezwungen hätte, auf die restlichen Sprünge verzichtete. Doch weder Dimitrow noch der bitterlich enttäuschte britische Weltrekordler Jonathan Edwards konnten ihn gefährden.
Nächstes Jahr in Sydney soll nach der vorläufigen Krönung seiner Laufbahn die absolute folgen: der Olympiasieg. „Dann bin ich im besten Dreisprungalter“, blickt er optimistisch voraus. Sowohl Edwards als auch der US-Amerikaner Mike Conley waren 29, als sie ihre größten Weiten und den Gipfel ihres Ruhms erreichten. Dem strebt auch Friedek emsig zu, ist sich aber aus leidvoller Erfahrung bewusst, „wie schnell man weg ist, wenn die Leistung nicht da ist“. Vor fünf Jahren wollte der zum Selbstzweifel neigende Springer sogar schon seine Karriere beenden, weil es nicht vorwärts gehen wollte. Um so mehr genießt er nun den Moment und auch die 60.000 Dollar, die ihm der WM-Sieg einbringt. Gegen die hohen Siegesprämien hat er nichts einzuwenden, sondern findet es nur fair, dass so, anders als bei Meetings, die Sieger der weniger attraktiven Disziplinen „auch etwas abkriegen“. Zum Beispiel Diskuswerferin Franka Dietzsch, die „sonst hinter ihrem Bankschalter steht“.
Friedek belässt es nicht bei sozialen Lippenbekenntnissen. Er engagiert sich für ein Krankenhaus, in dem krebskranke Kinder behandelt werden, und hat im letzten Jahr mit seiner Aktion „Jump for children“ 22.000 Mark gesammelt. Nicht losgeworden ist er die Probleme wegen seiner Hautfarbe. „Ach, da gibt es immer was“, sagt er, „als Sportler bist du akzeptiert, aber wenn man im Trainingsanzug durch die Innenstadt läuft, ist man Asylant.“ Das Schwierigste aber sei, „in Köln in eine Disko zu kommen“. Nicht von ungefähr hat Charles Friedek in der DLV-Broschüre als Person, die er am liebsten kennenlernen würde, nicht Sylvester Stallone angegeben wie Grit Breuer, Michael Schumacher wie Martin Buß oder Arnold Schwarzenegger wie Oliver-Sven Buder, sondern Nelson Mandela. „Der hat so viel geleistet und musste so viel einstekken.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen