: „Keiner verlässt die Bühne“
■ Tot sein, ohne es zu merken? Faxen und Salto rückwärts noch mit 64? Kann passieren, meint Randy Newman. Der dunkelste unter Amerikas Songwritern über hart gekochte Eier, Durchhalten im Rock und seine neue CD „Bad Love“
taz: „Amerikas zynischster Songwriter“, „Der geistreichste Mann im Rock“, „King Of The Suburban Blues Singers“ – welcher dieser Titel geht Ihnen heute am meisten auf die Nerven?
Randy Newman: Ich habe Schubladen nie besonders gemocht. Der geistreichste Mann im Rock zu sein – damit lässt sich leben, aber besonders aussagekräftig ist es auch nicht. Immer weniger mag ich es, zynisch genannt zu werden. Es geht doch um Konstrukte, um künstliche Gebilde. Die Leute in meinen Liedern repräsentieren nicht die Wirklichkeit, wie sie ist, es sind satirische Übertreibungen. Meist kommen die Charaktere dabei schlechter weg, als sie in Wirklichkeit sind.
Genau deshalb gelten Sie als düster und unkommerziell.
Ich persönlich habe es nie für besonders schwierig gehalten, das, was ich tue, zu mögen oder zu verstehen, aber da kann man sich leicht täuschen. Selbst wenn ich einige wirklich düstere Stücke geschrieben habe wie „In Germany Before The War“ oder „Bad News From Home“, kommt mir mein Stoff insgesamt nicht so finster vor, wie viele sagen. Ich lade die Leute doch auch zum Lachen ein, versuche es zumindest.
Ihr neues Album klingt aber, als hätte es Rock 'n' Roll nie gegeben.
Wirklich? (lacht) Stimmt, es gibt nur einen einzigen echten Rocksong darauf. Aber das war schon immer so. Bereits mein allererstes Album klingt, als hätte ich nie etwas von den Rolling Stones gehört. Die Wahrheit ist: Ich liebe Rock 'n' Roll! Wenn die Leute mich fragen, was ich mache, sage ich: Hey, Rock 'n' Roll. Vielleicht ist es meine sehr spezielle Variante davon, aber ich rechne mich dazu.
Wie stellen Sie sich 1999 den typischen Randy-Newman-Fan vor?
Keine Ahnung. Wahrscheinlich habe ich manche unterwegs verloren. Einige sind tot. Der Rest ist wohl zwischen 25 und 50. Mit einigen komme ich in Kontakt, wenn ich mir die Websites ansehe, die sie im Internet über mich anlegen. Kommt mir wie ein netter Haufen vor, aber ich muss sie ja auch mögen.
Die erste Zeile des ersten Stücks von „Bad Love“ heißt „Let's go back to yesterday“. Zieht es Sie zurück in die Vergangenheit?
Sicher hat die Erfahrung des Alterns bei dem gesamten Album eine Rolle gespielt. Die Frage, wie man damit umgehen soll: The Moody Blues Age. Aber der Song ist für mich zunächst einmal einfach ein autobiografischer Song. So, wie es da erzählt wird, bin ich tatsächlich aufgewachsen: vor dem Fernsehschirm mit der ganzen Familie. Es ist, als würde man um ein Lagerfeuer herumsitzen, mit der Mattscheibe als Feuer. Ich beschreibe das aber nicht vom Standpunkt: Uh, was für eine furchtbare Art, die Kindheit zu verbringen! Es ist einfach das, was ich kenne, auch von anderen Familien, es ist „My Country“, wie der Songtitel sagt. Ich wünschte, ich hätte es bei meinen eigenen Kindern besser gemacht, aber im Endeffekt war ich auch nicht schlauer, jedenfalls nicht viel. Und das ist ja auch alles gar nicht so schlecht. Wenigstens sind alle zusammen in einem Raum!
„Bad Love“ ist eine Art Konzeptalbum über Liebe, aber eben missratene oder seltsame.
Einige Lieder handeln davon, nicht alle. Ich weiß auch nicht genau, worum es in „My Country“ geht, vielleicht um den Unwillen, etwas mit der realen Welt zu tun zu haben. „Better Off Dead“ handelt von der Selbstliebe im Rock 'n' Roll-Showbusiness. In „Shame“ wird ein reicher älterer Typ beschrieben, der ein sehr junges Mädchen liebt, was natürlich ein Fehler ist, aber der ganze Typ hat etwas von einem Fehler an sich. Er lebt in New Orleans, hängt faul wie eine Spinne in seinem Viertel rum und ist eben reich. Was ich daran mochte, war die Vorstellung: Egal, wie viel Geld du hast, wie berühmt du bist – niemand ist immun gegen diese Art von Versuchung: eine 18jährige vom Junior College mit 18-Jährigen-Haut. Es geht um Jugend und Schönheit und die unglaubliche Macht, die davon ausgehen kann. Sie ist stärker als alles, was du besitzen kannst.
„I'm Dead (But I Don't Know It)“ handelt von Rockstars, die weiter machen, obwohl sie nichts mehr zu sagen haben. An wen haben Sie dabei gedacht? An Steven Tyler von Aerosmith?
Wie bei allen Stücken: an mich. Dann an Don Henley, an Joni Mitchell, an Steven Tyler, an all die anderen, die schon 30, 40 Jahre dabei sind und immer noch da oben stehen, weil sie zur Baby-Boomer-Generation gehören und einfach durch schiere Masse Einfluss behalten, auch wenn dies auf Kosten der Nachfolgenden geht. Dies ist unkartografiertes Land, es ist die erste, höchstens zweite Generation, die im Rock so weit gekommen ist und sich jetzt fragt: Wie lange kann ich das machen, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen? Ich meine: auf- und abspringen und Salto rückwärts noch mit 64? Vielleicht. Keiner verlässt freiwillig die Bühne, keiner.
Sie wohnen in Los Angeles, der Stadt der Rockstars. Wie lebt man in solcher Gesellschaft? Wie ist es zum Beispiel, mit Ex-Eagle Don Henley rumzuhängen?
Ich habe immer nur einen guten, netten Kerl in ihm sehen können. Er wohnt ja um die Ecke. Ich schaue mal vorbei, er schaut vorbei. Sicher, er regt sich über vieles auf, gerät in Rage, wenn ihm etwas an Leuten nicht passt, aber mir gegenüber hat er sich nie so gezeigt. Ein wirklich netter Typ. Nichts Besonderes. Es ist, als würde ich mit meinem Bruder abhängen oder meinem Cousin. Ansonsten habe ich keine Freunde, die aus dem Showbusiness sind. Ich stehe morgens um sieben auf, gehe nie in Clubs. Außer denen, die nebenan wohnen in Pacific Palisades, dem Stadtteil, in dem ich wohne, treffe ich Rockstars nur bei der Arbeit, zum Beispiel Sarah McLachlan. Ich mag sie.
In „The World Isn't Fair“, meinem Lieblingssong von der neuen Platte, lassen Sie Karl Marx auftreten. Und während er noch vom Ende aller Ausbeutung träumt, konfrontieren Sie ihn mit den Verhältnissen in den besseren Wohngegenden von L. A.
Die Idee zu dem Stück kam mir, als die Kinder aus meiner zweiten Ehe eingeschult werden sollten, in eine Privatschule. Es war das erste Mal seit 20 Jahren, daß ich wieder ein Schulgebäude betrat, und da waren all diese Typen, die anderen Väter, mit ihren unglaublichen riesigen blonden Ehefrauen. Ich sagte mir: Seltsam. Warum sind diese tollen Frauen, die allesamt aussehen wie Gwyneth Paltrow, bloß mit diesen froschgesichtigen Jungs zusammen? Warum lassen sie es zu, dass ihre Erbinformation sich mit den Genen alter Säcke vermischt? Und ich dachte mir: Das müsste Marx sehen, dann würde er sich nicht ganz so schlecht fühlen. Es funktioniert nämlich einfach nicht, die Sache mit der Gerechtigkeit. Geld zieht die Drähte dahinter. Es hat nichts mit Intelligenz, mit Talent zu tun, wo du landest, sondern mit der Fähigkeit, Geld zu machen.
Sprechen Sie aus eigener Erfahrung?
Ein bisschen. (lacht) Besonders, wenn ich daran denke, von welch sonderbarer Natur das ist, was ich tue, habe ich verdammtes Glück gehabt. Sehen Sie, es gibt Leute, die die Goldberg-Variationen auswendig und auf dem Kopf stehend spielen können, und sie leben in einem kleinen Apartment in Venice oder sonstwo. Und dann sind da Leute wie Stevie Nicks von Fleetwood Mac oder eben ich, Leute, denen es wirklich gut geht. Als Kind denkt man immer: Das ist doch ungerecht, das ist doch nun wirklich ungerecht! Nun, es ist ungerecht. Es gibt keine ausgleichende Gerechtigkeit im Leben.
Dann sollten Sie sich aber auch nicht darüber beklagen, dass der große Charts-Erfolg ausbleibt. Amerikaner stehen nun mal nicht so sehr auf Lieder über tote weiße europäische Männer.
Das weiß ich doch! (lacht) Aber ich kann's nun mal nicht ändern, ich schreibe, wie ich schreibe. Glücklicherweise finde ich ein Auskommen damit, das hat ja auch nicht jeder. In jedem anderen Bereich meines Lebens, Bühnenshow, Kostüme, würde ich bereitwillig Ausverkauf betreiben. Mein Ziel war es immer, möglichst viele Leute zu erreichen. Ich würde als hart gekochtes Ei auftreten, um mehr Platten zu verkaufen, aber ich kann nichts an der Art, Songs zu schreiben, ändern. Das zählt für mich, der Rest ist mir mehr oder weniger egal.
Sie haben einmal gesagt, Ihre Autobiografie müsste den Titel „Flucht vor Berühmtheit, erfolglos sein durch Arbeit“ tragen.
Nun ja, (lacht) das einzige Gebiet, auf dem ich wirklich wenig erfolgreich war, ist der Verkauf von Schallplatten. Aber so schlecht ist es auch wieder nicht gelaufen, zumindest, wenn man bedenkt, wie die heutigen Verhältnisse sind. Gut, Hits hatte ich wirklich wenige, und es waren mehr Hits durch die Hintertür wie „You Can Leave Your Hat On“, mit dem Joe Cocker in Europa erfolgreich war. Oder „I Love L. A.“, das ein Hit in L. A. während der Olympischen Spiele war, weniger im Rest der Welt. Bleiben im Grunde „Short People“ und „Mama Told Me Not To Come“ in der Version von Three Dog Night. Für vier Jahrzehnte im Geschäft ist das wirklich nicht viel.
Eines Ihrer unverwirklichten Projekte ist ein Song namens „The Private Side Of Adolf Hitler“. Kommt das Stück irgendwann noch?
Dabei ging es weniger um einen Song als um eine Vorstellung. Es war, wenn man so will, eine Übung im Verstehen. All dieses Gerede vom menschlichen Monster ... Ich meine: Es gibt keine Monster. Es gibt furchtbare, wirklich furchtbare Leute, aber es sind immer noch Menschen. Ich glaube aber nicht, dass das Stück zustande kommen wird, einfach weil die Songform dafür ungeeignet ist. Man weiß von vornherein, was dabei rumkommen würde: Er-war-ein-Scheusal-aber-immer-noch-ein-Mensch – banal! Andererseits: Sehr viele Dinge haben Platz in einem Lied, auch unausgesprochene. Wenn du zum Beispiel weißt, wovon jemand lügt, weißt du eine Menge über ihn. Interview: Thomas Groß
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