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„Sie gehen wieder von Tür zu Tür“

Wenige Tage vor dem Referendum über die Zukunft Osttimors am Montag mobilisiert die indonesische Regierung ihre Anhänger. Weil sie die Bevölkerung nicht überzeugen können, setzen die Milizen auf Gewalt  ■   Aus Dili Jutta Lietsch

„Willkommen, wenn du Osttimor liebst dann liebst du beide: die Befürworter der Integration und der Unabhängigkeit“

(Tafel an der Zufahrt zur Militärkommandatur Kodamm 164 in der osttimoresischen Hauptstadt Dili. „Integration“ ist der offizielle Begriff für die Annexion durch Indonesien.

Als der Konvoi aus Motorrädern und Bussen mit den rotweißen Flaggen Indonesiens in die Straße nahe der Kathedrale einbiegt, sind die Bürgersteige plötzlich wie leergefegt. Auch in den Vorgärten läßt sich niemand mehr sehen. Die Bewohner haben sich wie auf Kommando zurückgezogen und beobachten nun, halb verdeckt von Büschen und Mauern, das Geschehen. Die Kinder sind ganz still.

In Dili, der kleinen Hauptstadt von Osttimor, ist heute „Pro-Integrations-Tag“, und die Straßen gehören den Rotweißen. „Besih meraputih“ skandiert eine junge Frau, die im rotweißen T-Shirt hinten auf einem Motorrad hockt, den Namen ihrer Gruppe. „Eisern Rotweiß“ gehört zu den etwa 20 pro-indonesischen Milizen, die seit Anfang des Jahres in Osttimor entstanden sind. Es bleiben ihnen nur noch wenige Tage, um die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass sie bei dem Referendum am 30. August für den Verbleib bei Indonesien stimmen muss.

Freiwillig werden die Menschen das wohl nicht tun. Zu offensichtlich ist der Unterschied zum „Pro-Unabhängigkeits-Tag“ 24 Stunden zuvor. Da stürzten die Leute aus ihren Türen und winkten den bunt gekleideten Jungs und Mädchen in der Parade fröhlich zu. Heute sitzen auf den Motorrädern an der Spitze der Kundgebung kräftige junge Männer mit kurzen Haaren und kühlem Blick, die ihre T-Shirts wie Uniformen tragen.

In diesen letzten Tagen des Kampfes um die Zukunft der winzigen Inselhälfte mit ihren 800.000 Einwohnern scheinen Gut und Böse, Recht und Unrecht, Hoffnung und Angst klar verteilt zu sein: „Als ich sah, dass die Armee diese bewaffneten Banden organisierte“, sagt der 70jährige Jesuitenpater Albrecht, der seit vielen Jahren in Osttimor lebt, „da habe ich mich an die Nazizeit in meiner Jugend erinnert, wie sie die SA die Drecksarbeit machen ließen.“

Wie schmutzig der Krieg um Osttimor geführt wird, erlebte die Ordensschwester Paulina* bereits im Frühjahr, als die Einschüchterungskampagne der Milizen ihren ersten Höhepunkt erreichte. „Damals haben die Leute in meiner Straße ihre Toten voller Panik sofort im eigenen Garten begraben“, berichtet sie. Als sie ihren ermordeten Sohn auf der Straße liegen sahen, wagten ihre Nachbarn nicht, ihn bis zur Beerdigung auf dem Friedhof am nächsten Tag aufzubewahren. „Die Milizen kamen in der Nacht und verlangten die Leiche, um die Spuren zu verwischen. Der Junge“, so erinnert sie sich, „war schrecklich zugerichtet, sie hatten ihn mit der Machete Stirn und Kinn abgeschlagen.“ Als dann im Juni die UNO nach Osttimor kam, um das Referendum vorzubereiten, „haben die Leute hier vor Erleichterung geweint“.

Das portugiesische Fernsehen, in Dili mit der Satellitenschüssel zu empfangen, überträgt nach der großen Kundgebung der Unabhängigkeitsbefürworter die Pressekonferenz des inhaftierten Xanana Gusmao, das Symbol des Widerstands in Osttimor. Er appelliert „von ganzem Herzen“ an seine politischen Gegner, die Gewalt sofort zu beenden. Gleichzeitig bietet er ihnen eine Amnestie für den Fall an, dass Osttimor unabhängig wird. „Dieser Akt der Großzügigkeit ist stärker als unsere Gefühle. Er heilt unsere Wunden und erhebt die Seele unseres Volkes“, sagt er. Doch sein Appell bleibt vergeblich. Einen Tag später, nach der Parade der Rotweißen, ziehen Gruppen von Männern auf Motorrädern schießend durch die Stadt. Bis zum Nachmittag kommen nach ersten Berichten mindestens fünf Menschen ums Leben. Ein osttimoresischer Freund, der erst vor wenigen Wochen aus dem Exil wieder nach Hause zurückgekehrt ist, ruft verzweifelt an: „Sie haben ein Nachbarhaus angesteckt und gehen wieder von Tür zu Tür.“ Im Frühjahr war er nach Morddrohungen mit seiner Familie geflohen.

Die Djakarta Post zitiert den gerade erst eingesetzten Militärkommandanten, Oberst Noer Muis, mit einer Warnung vor einem Blutbad. „Keiner der gegnerischen Parteien scheint bereit, die Möglichkeit einer Niederlage zu akzeptieren“, sagt er. Das kommt nicht überraschend: Unermüdlich haben die indonesische Regierung, das Militär und die Djakarta-treuen Fernsehprogramme die Gewalt in Osttimor in den letzten Monaten als „Auseinandersetzung zwischen gegnerischen Parteien“ bezeichnet. Diese Version könnte dem Militärals Rechtfertigung dienen, einzugreifen und so zu verhindern, dass Indonesien seine „27. Provinz“ wirklich verliert. Der „Osttimoresische Nationale Widerstandsrat“ die Organisation der Unabhängigkeitsbewegung Xanana Gusmaos, weiß jedoch, dass er nur mit internationaler Unterstützung rechnen kann, wenn er sich an die Spielregeln hält.

Mit einer wahren Charmeoffensive haben ihre Vertreter in den letzten Wochen versucht, ihre Versöhnungsbereitschaft zu beweisen. So luden sie vor einer Woche zur Feier des 24. Geburtstages derFalintil-Guerilla ein, des bewaffnetem Armes der Unabhängigkeitsbewegung. Kontaktleute in Dili verteilten Passierscheine mit Unterschrift und Stempel, um die Kontrollen auf dem Weg zu den drei Guerillalagern passieren zu dürfen. In dem Städtchen Baucau sammelten sich die Besucher des Festes der „Region 1“.Unter ihnen eine Handvoll Studenten aus Dili, die „nur wissen wollen, wie es dort aussieht“, eine kleine Gruppe ausländischer Journalisten, Familienangehörige von Guerilleros und ein Geschäftsmann mit junger Frau und Baby im Geländewagen. Er war in seiner Jugend, gleich nach der Invasion, der indonesischen Soldaten, zu der Guerilla in die Berge geflüchtet, aber Ende der siebziger Jahre wieder nach Dili zurückgekehrt. „Natürlich“, sagt er, „habe ich die ganze Zeit Kontakt gehalten.“ Am nächsten Morgen wird er im grünen Uniformhemd an der Seite des Kommandanten auftauchen.

Für den jungen Leo Alves* wird dies eine bewegende Reise in die Vergangenheit. Als Kind war er wie hunderttausende Osttimoresen aus den Städten und Dörfern Osttimors vertrieben worden. Die Folge war eine Hungersnot.

Noch sind die Massengräber in Osttimor nicht geöffnet. 200.000 Menschen, mehr als ein Viertel der Bevölkerung, schätzen Priester und Menschenrechtler, kamen ums Leben. Leos Vater starb 1977 an Erschöpfung auf der Flucht. Fünf Jahre später holten Soldaten seine Mutter ab, weil sie sie verdächtigten, mit der Guerilla zu sympathisieren. Der Junge sah sie nie wieder. Ein Onkel nahm ihn bei sich auf und schickte ihn auf die Schule in der Stadt Baucau. Mit einem Stipendium der indonesischen Regierung konnte er studieren. „Ich habe Jura gewählt“, sagt Leo, „weil es sonst keine Gerechtigkeit gibt.“

Ein frisch bereiteter Feldweg führt auf die Basis der „Region 1“ in den Bergen landeinwärts von Baucau. An seinen Hängen stehen neben einem Bach einfache Bambushütten. Zwischen improvisierten Zelten aus Plastikplanen und Decken haben sich hunderte Besucher niedergelassen, einige haben Schweine geschlachtet und braten sie im Feuer. Bis zum frühen Morgen treffen über 2.000 Besucher ein. Nachts werden Freiheitslieder und Guerillahymnen gesungen. Am Morgen beobachten die Leute geduldig, wie 50 Guerillakämpfer vor ihnen exerzieren, und sie applaudieren als die Fahne der Bewegung gehisst wird.

„Ich bin“, sagt Lere, ein kleiner Mann mit revolutonär buschiger Mähne, Bart und Che-Guevara-Kappe, „bereit zur Versöhnung mit unseren Feinden.“ Doch wenn es nötig sei, werde er auch „noch 25 Jahre weiterkämpfen“.

„Um Gottes Willen, nur nicht mehr kämpfen“, sagt in dieem Moment die 52jährige Bolinda Freitas, deren Mann vor 17 Jahren hier in den Bergen ums Leben kam. Bis 1991 hatte sie bei der Guerilla gelebt, als sie sich entschloss, „in die Gesellschaft zurückzukehren“. Bei den Nonnen hat sie Arbeit als Schneiderin gefunden.

Ihre 20jährige Tochter Lolalida, eine zierliche Schönheit mit schwerem schwarzem Knoten im Nacken, war gleich nach dem Tod des Vaters von Freunden in der Stadt aufgenommen worden. Sie habe „schon 1982 kapituliert“, nennt es die junge Frau. Damals war sie drei Jahre alt. Jetzt besucht Lolalida eine Krankenschwesternschule. Ihre ältere Schwester hat es inzwischen nach Australien geschafft.

*Name geändert

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