: Röcke für die Jungs
Was soll ich anziehen? Diese Frage werden Frauen und Männer bald im Chor singen. Denn in der Männermode gibt es eine neue Prächtigkeit: Männer schmücken sich und zeigen Dekolletee. Manche sogar Rock. Aber sind sie dann noch Männer? Ein Ausblick von Anja Seeliger
Kinder, der Untergang des Abendlandes steht bevor. Nicht der Bosnienkrieg ist schuld daran, nicht die Sonnenfinsternis, nein: Schuld ist der Männerrock. Seit einem Jahr mischen Designer aller Avantgardegrade eine neue Prächtigkeit in die Männerkleidung: Anzüge sind mit Strass verziert, mit Stickereien, bunten Bändern und Rüschen. Es gibt kräftige, leuchtende Farben und sehr viel nackte Haut. Das ganze Sortiment weiblicher Verführungsstrategien wird übernommen – vor allem das Spiel mit der Entblößung: Dries van Noten zeigte in seiner Winterkollektion nur ärmellose Pullover. Die nackten Arme seiner Models waren bis zum Ellbogen mit langen Strickhandschuhen bedeckt, wie man sie von der weiblichen Abendgarderobe kennt. Hedi Slimane, Designer der Männerkollektion von Yves Saint Laurent, zeigte vom Hals bis zur Taille geschlitzte Hemden, die eine schmale Knabenbrust enthüllten. Um den Hals hatten die Models einen langen Schal geschlungen, der wie die Karikatur einer Krawatte bis auf den Boden hing. Bei Gucci ließen sich Blousonreißverschlüsse nur von unten öffnen, so dass der Bauch hervorblitzte. Und dann die Röcke! Fast jeder Designer hatte einen. Meist waren es knielange Kilts oder knöchellange Sarongs und ja, Yamamoto hat für den Winter sogar ein Strickkostüm mit langem Schlauchrock und goldverzierter Jacke im Programm. Die Presse amüsierte sich über den Putz. Beim Rock allerdings hörte der Spaß auf.
Das Time-Magazin warnte schon im letzten Herbst den „modischen Mann“ vor der „Agonie der Entscheidungsunfähigkeit“, die so typisch für Frauen sei: Was soll ich anziehen? Besorgt fragte es nach, ob sich ein Mann denn in engen durchsichtigen Hemden psychisch wohlfühlen könne? The Face, ein trendiges Londoner Modemagazin, das seine – weiblichen – Models gern als blutüberströmte Gewaltopfer fotografiert, sah müde resigniert schon die Machtübernahme der Frauen voraus. Das Fernsehmagazin Panorama verkündete den „triumphalen Vormarsch der Feminisierung der Welt“ und selbst der Berliner Tagesspiegel zittert wie Pudding vor den „heutigen Töchtern der Feministinnen“, die „eiskalt die Sache noch weiter umdrehen und sogar schweigend das von Männern gekochte Essen verspeisen“.
Das wäre alles sehr komisch, wäre es nur nicht so scheußlich reaktionär. Man könnte glauben, die Frauen stünden mit der Nudelrolle hinter der Tür: „Zieh den Rock an, oder es setzt was!“ Selbst junge Journalisten scheint unvermeidlich ein Gefühl der Degradierung zu überkommen, sobald sie einen Mann im Rock betrachten. Kein Wunder, wenn der „Rock“ immer noch für Agonie, Kinder und Küche steht. Mit dem „triumphalen Vormarsch“ des Feminismus dürfte es dann selbst nach Auffassung dieser Herren nicht weit her sein. Warum diese Ängste? Wenn Frauen nicht aufgehört haben Frauen zu sein – und meines Wissens haben sie das nicht – als sie anfingen, Hosen zu tragen, warum sollten dann Männer keine Männer mehr sein, wenn sie in einen Rock schlüpfen?
Der Tagesspiegel-Autor schüttelt sich so entsetzt und angewidert beim Anblick nackter Männerbeine, dass man sich fragt, wie der Mann überhaupt seinen Anblick im Spiegel erträgt. Da ist von „beuligen Waden“ die Rede, die in weißen Tennissocken und Sandalen stecken. Wer zwingt einen Mann, weiße Tennissocken zum Rock zu tragen? Und überhaupt, seit wann entscheiden Männer, wann ein Mann schön ist?
Seit er einen Anzug trägt. Der Anzug stand immer für Autorität, Macht und Geld – Eigenschaften, die vor allem Männer attraktiv finden. Steht jedoch der Körper zur Debatte, fällt die Entscheidungsmacht an die Frauen. Man betrachte nur den nackten Rücken und den unglaublich runden Hintern, den Ferrés Model zeigt: Dieser Rücken sagt eine Menge, aber nicht, ob der Mann ein „Leistungsträger“ ist.
Auch die zarten Knaben, die Hedi Slimane für Yves Saint Laurent über den Laufsteg schickte, geben darüber keine Auskunft. In ihren hautfarbenen durchsichtigen Hemden mit den weiten, perfekt geschnittenen Hosen, die jede Bewegung des schmalen Körpers abzeichnen, sehen sie aus wie Wesen von einem anderen Stern. Ihre Attraktivität spricht Männer und Frauen an. Slimane dreht bravourös die Androgynie um, die Saint Laurent in den sechziger Jahren mit seinem Smoking den Frauen gab.
Das ist vielleicht das Frappierendste an der Männermode: Man kann an den entblößten Körpern nicht ablesen, ob diese Männer schwul sind. Nicht mal bei Comme des Garçons, obwohl Designerin Rei Kawakubo ihre röcketragenden Models noch mit Strassdiademen und Hawaiigirlanden aus Wolle aufbrezelte: Statt Transvestiten sah man fröhliche Jungs, die ihren Spaß hatten. In einem Interview mit dem englischen Magazin ID erklärte Hedi Slimane: „Ich interessiere mich nicht für schwule Ästhetik, weil ich keine Zerbrechlichkeit oder Verwundbarkeit bei Schwulen heute sehe. Sie machen eine Karikatur aus sich, indem sie vorgeben, Machos zu sein. Ich interessiere mich mehr für die Verletzlichkeit des Menschen.“
Es mag für Männer ein Schock sein, wenn sie plötzlich nicht mehr nach ihrem Status, sondern nach der Form ihres Hinterns und der Zartheit ihrer Haut beurteilt werden. Aber es hat auch seine gute Seiten. Haben Männer nicht jahrhundertelang geklagt: Was wollen die Frauen?
Zeigt eure Körper, und wir sagen es euch!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen