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„Ich werde immer besser“

Von der Popkultur zur Götzendämmerung: Der Hamburger Künstler Jonathan Meese performt in Kiel zu Kubricks „Barry Lyndon“  ■ Von Britta Peters

„Kampf der Harmlosigkeit! Kunst ist Krieg!“ Wortgewaltig markiert Jonathan Meese seine Position im aktuellen Kunstbetrieb. Jeder Tag seines Lebens sei ein Befreiungsschlag gegen seine Feinde: „Zeitdiebe“, „Blutsauger“, die von der Kunst nichts mehr wollen – außer Macht, Geld und die Sicherheit, dass sich alle Beteiligten an stillschweigend getroffene Verabredungen halten.

Nach acht Einzelausstellungen, etlichen Performances und zwölf Gruppenausstellungen in nur zwei Jahren, darunter die Berlin Biennale, die Junge Szene 98 in Wien, die Generation Z im PS1 in New York sowie vergleichbare Shows in London, Marseille und Osaka, mobilisiert der 28-Jährige seine letzten Reserven. Seine Kunst wird dabei, wie er selbst sagt, immer besser.

Verändert hat sie sich auf jeden Fall. Verglichen mit den Arbeiten, durch die Meese binnen kürzester Zeit international bekannt geworden ist – raumfüllende Collagen aus fotokopierten Filmstills, Texten und Selbstpoträts, aus Postern, Plakaten, Videos, aus eigenen Texten, Skulpturen und Zeichnungen –, sind die neuen Arbeiten reduzierter, düsterer und theatraischer inszeniert. Statt der unzähligen Verweise auf Kultfiguren und popkulturelle Mythen der vergangenen 30 Jahre stehen jetzt Themen wie Tod, militärische Gewalt und Glaube im Mittelpunkt.

Den frühen und den aktuellen Arbeiten gemeinsam ist ein souveräner Umgang mit Materialien aller Art und die mit schwarzer und weißer Farbe darüber gepinselten Worte, Wortschöpfungen, Sätze und Zeichen. Diese kommentierenden Eingriffe halten den Raum zusammen und bestimmen den Tonfall. „Love“ und „Peace“ schallte es bei Meeses Ahoi de Angst im Postfuhrwerk in Berlin von Wänden, Fußboden und Decke, „Erzbayreuthon“, „Erzisis“, „Erzgralsblut“ und „Götzendämmerung“ dröhnt es bei einer Installation im Rahmen der Wunderkammern im Frankfurter Kunstverein.

Ein zentraler Aspekt von Meeses Kunst ist ihre Unmittelbarkeit. In dieser Hinsicht unterscheiden sich auch die mystisch-archaischen Bezüge nur unwesentlich von den Mythen der Popkultur. Beide reflektieren wirkungsvoll die Grundbedingungen menschlicher Exis-tenz, die Rolle von Kultur und Glaube, Tod und Gewalt. Die thematische Verschiebung bedeutet lediglich, an einem historisch anderen Ort weiter zu bohren.

Ohne den Genie-Begriff explizit ins Spiel zu bringen, kokettiert Meese mit diesem Selbstverständnis. Er bastelt an seiner Biografie, streut Anekdoten und spricht von seinen künstlerischen Aktivitäten als „Stationen“. Da gibt es gute und schlechte Stationen in seinem Leben, Fehler, die er gemacht hat, und Stationen, wo er nie landen möchte. Auf der documenta zum Beispiel oder der Biennale in Venedig. Wer dort ausstellt, hat in seinen Augen schon verloren.

Dass er überhaupt sein Kunststudium begonnen hat – und damit einen ersten Fuß auf die staatlich geprüfte Karriereleiter gesetzt hat – beurteilt er heute als Fehlentscheidung. Seit dem Wintersemester 1993/94 ist er an der Hamburger Hochschule für bildende Künste in der Klasse von Franz Erhard Walther eingeschrieben, freilich ohne noch ein Diplom anzustreben. Kunsthochschulen sind seiner Meinung nach genauso schlimm wie Stipendien und Preise. An Stelle dieser Mischung aus öffentlicher und privatwirtschaftlicher Anerkennung verlässt er sich lieber gleich auf seine Freunde. Unterstützt wird er dabei durch die Galerie Contemporary Fine Arts in Berlin.

Müßig zu überlegen, was passiert wäre, wenn er auch seinen zweiten Fehler nicht gemacht hätte: die Teilnahme an der Berlin Biennale. Dann gebe es für das, was er heute vertritt, schlicht keine Öffentlichkeit. Oder vielleicht doch? Immerhin ist Meese Teil der Akademie Isotrop, ein Kreis von Künstlern und Künstlerinnen, den ursprünglich die Kritik an und die Suche nach Alternativen zu dem Hochschulmodell der Kunstlehre zusammengebracht hat. Momentan funktioniert die Akademie aber auch als gemeinsamer Werbeverbund ganz gut.

Auf Meeses Performace Der Erzkamerad war geheilt zur Filmmusik von Stanley Kubricks Barry Lyndon darf man gespannt sein: Meese ist ein großartiger Performer, Kubrick ist einer seiner großen Helden, DAF läuft, Fritz Langs Nibelungen ebenfalls, es gibt Erdhelme, einen Unterstand, und dann geht auch noch was kaputt.

Jonathan Meese: „Der Erzkamerad war geheilt“, heute, 21 Uhr, Kunsthalle zu Kiel

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