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Nichts als Strom an Bord

Auch nach vier Wochen sitzen die Seeleute noch auf der „Verona“ fest  ■ Von Elke Spanner

Der Generator brummt pausenlos. Tief aus dem Schiffsbauch dringt das Geräusch nach oben, durchzieht die Räume wie schlechte Luft, die erst stört und irgendwann vergessen ist. Strom ist das einzige, womit sich die Besatzung der „Verona“ noch selbst versorgen kann.

Alles andere hat die ehrenamtliche „Hamburger Tafel“ übernommen. Gestern morgen ist Annemarie Dose noch beim Schlachthof vorbeigefahren und hat Schweinefüße geholt, „das haben die Seeleute bestellt“. Dose will es sich nicht nehmen lassen, ihre Errungenschaft vorzuführen. Sie nimmt zwei abgehackte Pfoten aus der grünen Kiste und lässt sie im Schaukeltakt der Barkasse auf- und abtanzen. Sülze will er daraus wohl machen, der Koch, „der einzige, der da was zu tun hat“.

Als die Barkasse mit dem Proviant an der „Verona“ anlegt, stehen schon Seeleute zum Auspacken an der Reling bereit. Ein dünnes Seil wird herunter gelassen, die erste Kiste mit fachkundigen Knoten daran befestigt. Seemann Romulo Panopio zieht eine Stiege Cola-Dosen herauf, 4,5 Meter hoch, bis sie über die Reling an Bord der „Verona“ gehievt werden kann. Die nächste Kiste ist mit Flaschen gefüllt, „Tropic Orange“, außerdem mit Büchern und Toilettenpapier. Flugs wird der Proviant an Bord verstaut. Damit ist die einzige Abwechslung des Tages für die Seeleute auch schon wieder vorbei.

Seit einem Monat liegt das Frachtschiff an den Dalben im Hansahafen fest. Mitten auf der Elbe, weil die Liegekosten dort geringer sind als am Pier. Mit 1.800 Tonnen Raps beladen, war das Schiff Ende Juli Richtung Nordsee ausgelaufen und wurde kurz vor Cuxhaven von der Wasserschutzpolizei gestoppt. Die „Verona“ musste umkehren, wurde wegen Sicherheitsmängeln an die Dalben gebunden.

Für die acht Seeleute ist der Frachter zum Gefängnis geworden. Verlassen kann die Besatzung ihr Schiff nicht. Das Rettungsboot, das sie an Land bringen könnte, ist kaputt – einer der zahlreichen Sicherheitsmängel der „Verona“.

Was er den ganzen Tag an Bord tut, kann Luciano Abellera auch nicht sagen. Nur, dass es „immer das gleiche ist“. Fernsehen fällt ihm ein. Reden. Lesen. Die Bücher, die er im März mit an Bord gebracht und eigentlich längst ausgelesen hat. Ein paar Zeitungen gibt es jetzt, die hat der Philippinische Konsul an Bord geschickt. Mit dem Kopf weist Abellera Richtung Ladefläche. Links davon führt ein schmaler Durchgang nach vorne, knapp einen Meter breit, 78 Meter lang. Da läuft Abellera täglich auf und ab, „bewegen muss man sich mal“. Rauf, runter. Wenn das Fernsehprogramm gerade schlecht ist, zum Beispiel. Wenn er sich dabei langweilt, weil der Philippino die deutschen Sender ohnehin nicht versteht. Oder wenn er das Gefühl hat, der Enge des Schiffes für einen Moment entfliehen zu wollen. Das ist der Auslauf für den Seemann. Einen Meter breit, 78 Meter lang.

Verlassen hat die Besatzung das Schiff bisher nur zwei Mal, als der Seemannsclub Duckdalben sie abgeholt und für ein paar Stunden in die Einrichtung gebracht hat. In der Hamburger Innenstadt, so erzählt Fortunato Biugos, war er noch nie. „Was ihr St. Pauli nennt, kenne ich alles nicht“. Er grinst. Biugos ist an Bord der Koch – der meistbeschäftigte Mann. Je länger er spricht, desto mehr hellt sich sein Gesicht auf. Eine willkommene Abwechslung ist schon das kurze Interview. Ob ihm langweilig ist? „Oh ja“, sagt er. „Wir versuchen, zu vergessen, dass wir auf diesem Schiff festsitzen“. Romulo Panopio blickt verständnislos zu ihm herüber. Er musste schon einmal in Havanna sechs Monate auf die Weiterfahrt warten. „Wir sind Seemänner“, sagt er schlicht. „Es ist das gleiche, ob wir hier liegen oder fahren“.

Der Reeder „Arco Shipping“ hat den Kontakt zu seinem Schiff abgebrochen. Heuer hat er schon seit Monaten keine mehr gezahlt. 70.000 Dollar stehen aus. Vier Philippinos und vier Polen sind an Bord. Vertreter der Botschaften der beiden Länder waren bereits auf der „Verona“ zu einem kurzen Besuch. Der polnische Konsul hat mittlerweile angeboten, die Reisekosten vorzustrecken, falls die polnischen Seeleute nach Hause fahren wollen. Sicher wollen sie das, sofort. Dort sind Freunde und Familie. Doch das Schiff zu verlassen, hieße, auf den ausstehenden Lohn der letzten Monate zu verzichten. Solange die Besatzung an Bord bleibt, hat sie gegen die Reederei ein Druckmittel in der Hand, erklärt Ulf Christiansen, Inspektor der Gewerkschaft der Transportarbeiter ITF: „Solange kann die Reederei mit dem Schiff keinen weiteren Handel planen“.

Bisher hat sich „Arco Shipping“ allerdings nicht erweichen lassen. Schwer ist die Firma zu erreichen, die offiziell in Malta, faktisch indes in Schweden ihr Büro unterhält. Vor zwei Tagen habe die Reederei erstmals ein Gesprächsangebot gemacht, sagt Christiansen. Als der Kapitän Jerzy Szalkowski Ende Juli nach der Ankunft im Hamburger Hafen mit einem der Reeder gesprochen hatte, habe der ihn mit den Worten „fuck you“ stehen lassen.

Seit der Kapitän am 2. August einen Notruf bei der ITF abgab, weil sämtliche Vorräte aufgebraucht waren, schleppen die MitarbeiterInnen der „Hamburger Tafel“ regelmässig Lebensmittel an Bord. Transportiert werden die mit einer Barkasse, die Firma Max Jens fährt kostenlos zwischen ihrem Anleger und dem gestrandeten Frachtschiff hin und her. Auch die Wasserschutzpolizei hat schon Milch und Brot an Bord gebracht.

Christiansen ist beeindruckt, wie reibungslos die Versorgung klappt. Aber wütend ist er auch, sehr sogar. Zuständig sei eigentlich die Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS). Die habe er angerufen, als die Essens- und Wasservorräte der „Verona“ aufgebraucht waren. Statt Unterstützung zu organisieren, hätten die Behörden-VertreterInnen sich bei der „Hamburger Tafel“ für die unbürokratische Hilfe bedankt.

Die Barkasse legt wieder ab. Für ein paar Tage werden die Vorräte wohl reichen. Nur einen Kuchen fürs Wochenende hat Annemarie Dose vergessen. Um den zur „Verona“ zu bringen, wird die Barkassenfirma Max Jens am Nachmittag die Hafenrundfahrt an dem Frachter vorbei führen. Zum Abschied haben sich alle Seeleute an der Reling versammelt. Über dem Transparent, auf dem zu lesen steht: "Owner, do not kill our family“.

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