: Von Musizieren bis zu Plastizieren
Das Krankenhaus Havelhöhe ist die einzige anthroposophische Klinik Berlins: Die Patienten sollen hier selbst daran mitarbeiten, ihre Lebensumstände zu verändern – und ihre Seele zu spüren ■ Von Esther Kogelboom
Eine getigerte Katze schleicht über die Straße, nur wenige Menschen sind hier unterwegs. Es ist sehr still auf dem Gelände des anthroposophischen Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe. Ab und zu rollt ein Auto an den Häusern aus den dreißiger Jahren vorbei. Dazwischen liegen kleine Gärten und Grünflächen, auf denen Schilder die Heilkräuter erklären, die dort wachsen.
„Manchmal wünsche ich mir, ich könnte einfach mit dem Aufzug in den sechsten Stock fahren, aber eigentlich genieße ich die Spaziergänge an der frischen Luft, wenn ich von einem Dienstgebäude zum nächsten laufe“, lacht Eva-Maria Tholen, Mitarbeiterin der Verwaltung und Sprecherin der Havelhöhe. Seit der Gründung der Klinik am 1. Januar 1995 hat sie alle Höhen und Tiefen der Havelhöhe miterlebt. So sah Tholen sich im August des letzten Jahres mit dem Gutachten konfrontiert, das die Schließung der einzigen anthroposophischen Klinik Berlins vorsah – rein auf Grund der Wirtschaftlichkeit, wie sie betont. Die Gutachter hätten Zahlen von 1996 ausgewertet, die zum Zeitpunkt der Prüfung nicht mehr aktuell gewesen seien. „Inzwischen ist die Wirtschaftlichkeit gegeben, wir übernehmen schließlich auch die Regionalversorgung für Spandau“, sagt Tholen. Der Künstlerinitiative, dem gemeinnützigen Trägerverein und privatem Engagement sei es zu verdanken, dass die Havelhöhe bestehen blieb. Doch damit haben die Anthroposophen erst eine Klippe umschifft: Die duale Finanzierung, also Mittel vom Land plus Gelder von den Krankenkassen, ist aktuell in Gefahr.
Die derzeit 318 Betten verteilen sich auf die Abteilungen Innere Medizin mit den Schwerpunkten Diabetologie, Gastroenterologie und Kardiologie, Chirurgie, Gynäkologie und Geburtshilfe sowie Neurologie. Über die Möglichkeiten der naturwissenschaftlichen Medizin hinaus, die Grundlage der medizinischen Therapie und Diagnostik ist, bietet die Havelhöhe den Patienten aller Kassen ein breites Spektrum der anthroposophisch erweiterten Medizin und Pflege: Heileurythmie, Rhythmische Massage, Gesprächstherapie und künstlerische Therapien wie Malerei, Musik und Plastizieren.
Peter Bläsi, Kunsttherapeut und in Havelhöhe für das Plastizieren verantwortlich, steht vor einem wandhohen Regal mit Tonobjekten. „Das Plastizieren kann Menschen auf den richtigen Weg zur Heilung bringen, wenn man davon ausgeht, dass Krankheit ein Ungleichgewicht bedeutet.“ Bläsi hilft so, anhand des praktischen Tuns ein Gleichgewicht herzustellen.
Der Therapeut stellt nach einer ersten freien Arbeit dem Patienten eine individuell auf ihn zugeschnittene Aufgabe, die abstrakt oder figürlich sein kann. Im Regal stehen Würfel, Köpfe und Tiere in allen möglichen Formen.
Wenn es um die Selbstverantwortlichkeit des Patienten geht, wird Dr. Harald Matthes, Medizinischer Leiter der Havelhöhe, energisch: „40 bis 60 Prozent der Leiden sind Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Magenerkrankungen oder Herzinfarkt. Da sollten die Patienten selbst mitarbeiten, ihre Lebensumstände zu verändern und auf ihre Seele zu hören – das spart nebenbei noch Kosten.“ Der Mediziner versteht Anthroposophie nicht als Weltanschauung, sondern als konkrete therapeutische Ergänzung und Erkenntnismethode. Die auf Rudolf Steiner zurückgehende Lehre versteht Geist, Körper und Seele als gleichrangig. Bei Gesunden sind diese Komponenten in Einklang, bei Kranken aus dem Gleichgewicht geraten.
Maria Jung, Pflegedienstleiterin, hat eine hohe Frustrationstoleranz. Als der Trägerverein das ehemalige Spandauer Krankenhaus übernahm, war sie schockiert von der „veralteten Funktionspflege“ und boxte die „Zimmer- und Bereichspflege“ durch: „Das heißt, eine Schwester ist für maximal acht Patienten verantwortlich, die sie rundum betreut. Früher war für jeden Handgriff eine andere Pflegekraft zuständig. Das schließt den Aufbau einer Beziehung zum Patienten von vornherein aus.“ Die gleiche Arbeit müsse nur anders verteilt werden. Maria Jung gehört auch zum „Aufbahrungskreis“, der einen würdevollen Umgang mit den Toten möglich macht und den „Ablöseprozess von Körper und Geist respektvoll behandelt“. Die Pflege ende mit dem Tod des Patienten, hier werden die Toten gewaschen, geölt und angezogen. Im Aufbahrungsraum der Havelhöhe haben Verwandte und Freunde drei Tage Zeit, Abschied zu nehmen – egal, welcher Konfession sie angehören.
Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe, Kladower Damm 221
14089 Berlin Telefon: 36 50 10, Fax: 36 50 13 66 www.havelhoehe.de Das Gesundheitsforum Havelhöhe veranstaltet regelmäßig Vortragsreihen.
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