: Breakbeats von der Müllhalde
■ Jugend hört MPEG: Bogdan Raczynski, Lesser und Kid 606 beim Klangkrieg im Maria
MPEG, das Verfahren mit dem man sich bisher noch kostenlos Musik aus dem Internet herunterladen kann, ist derzeit das Medienereignis schlechthin. Die Rede ist von einer Umwälzung des gesamten Musikmarkts. Die etablierten Plattenfirmen arbeiten fieberhaft daran, die Musikpiraterie im Netz zu unterbinden, und beklagen ständig zunehmende Verluste durch ihren wachsenden Kontrollverlust über die Musikdistribution.
Doch auf der Seite vieler Musiker und bei Kritikern der immer stärkeren Machtausübung großer Plattenfirmen werden die Vertriebsmöglichkeiten von Musik auf dem elektronischen Weg als Befreiung von einem geknechteten Dasein gefeiert. Die Utopie: Irgendwann sind Labels ganz überflüssig. Schon jetzt kann jeder seine in der eigenen Küche produzierte Kochlöffelsymphonie ins Netz stellen und hoffen, dass sich jemand diese herunterlädt.
Die HipHop-Band Public Enemy hat gar ihre aktuelle Platte zuerst als MPEG-Datei angeboten und ließ sie erst Monate später von einer regulären Plattenfirma vertreiben. Vor allem Musiker mit abseitigen Soundvisionen erhoffen sich durch die Veröffentlichungsplattform Internet größere Aufmerksamkeit und die Möglichkeit zum absolut freien Arbeiten, ohne Konzessionen an den lästigen Partner, das Label.
Die drei Typen, die im Rahmen von Berlin Beta das Line-up der Klangkrieg-Veranstaltung „Jugend Hört MPEG“ bilden, haben zwar Plattenfirmen, mit denen sie kooperieren. Wahrscheinlich aber auch nur, weil es die gegenwärtige Situation noch nicht zulässt, sich total unabhängig zu machen. Mit der Musik, der sich alle drei widmen, dürfte es eh schwer genug gewesen sein, einen Partner zu finden. Lesser aus San Diego und Kid 606 aus San Francisco sind mit ihren Breakbeats von der Müllhalde demnach auch bei oberobskuren Hobby-Labels gelandet, bei denen das Geld wahrscheinlich nicht mal für eine Kaffeemaschine im Büro langt. Beide Krachmacher drehen so etwas wie Drum & Bass durch den Fleischwolf, um diesen ständig mit irgendwelchem Geklirre und Scheppern zu erweitern. Dass die Computer, mit denen diese Art von Musik hergestellt wird, gerade mal ein Taschengeld beim Schrotthändler gekostet haben, dürfte klar sein. Je nerviger und billiger die zerhackten Beats, desto besser.
Der dritte im Bund der Soundzerleger ist Bogdan Raczynski. Der veröffentlicht seine Platten immerhin auf Rephlex, dem Label von Aphex Twin, auch bekannt als Chefideologe des elektronischen Wahnsinns. Dort darf man schräg klingen, dort muss man sogar schräg klingen, auch wieder so ein Dogma – und ein Plädoyer für MPEG.
Bogdan Raczynski kommt aus Polen, lebt in einem Londoner Kühlhaus, hat eben erst innerhalb kürzester Zeit zwei Platten veröffentlicht und ist gerade mal 21 Jahre alt. Seinen Drum-&-Bass-Mülleimersound länger durchzuhalten erfordert eigentlich unsensible Synapsen. Doch schließlich geht es hier ja auch um einen Klangkrieg.
Andreas Hartmann
Ab 22 Uhr, Maria, Straße der Pariser Kommune 8 – 11, Friedrichshain
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen