Tourismusfreak will Sitz in Tschechiens Senat erobern

■ Nachwahlen zur zweiten Parlamentskammer könnten dort die Mehrheitsverhältnisse kippen. Beste Aussichten hat ein Geschäftsmann, der jahrelang im deutschen Exil war

Prag (taz) – In Prag fällt dieser Tage der Vorhang des Sommertheaters. Anlass der kuriosen Vorstellung: An diesem Wochenende finden Nachwahlen zum Senat statt. Normalerweise locken Wahlen zur zweiten Kammer des Parlaments, die erst 1996 installiert wurde, niemanden aus der Reserve. Vielmehr wird diskutiert, ob der Senat ein wichtiger Bestandteil des demokratischen Prozesses oder ein Talking Shop für alternde Ex-Dissidenten ist und damit überflüssig.

Doch diesmal geht es um mehr: Zu vergeben ist der Sitz des am 1. Juni verstorbenen Vaclav Benda. Und der ist heiß umstritten. Sollte es weder dessen Partei, der bürgerlich-konservativen ODS, noch den regierenden Sozialdemokraten gelingen, ihn zu besetzen, ändert sich das Mehrheitsverhältnis so, dass beide Parteien ihre Dreifünftelmehrheit verlieren. Die brauchen sie aber, um Verfassungs- und Gesetzesänderungen, an denen sie basteln, durchzubringen. Mit der Einführung des Mehrheitswahlrechts zum Beispiel wollen sie kleine Parteien, wie den ODS-Ableger Unie svobody (Freiheitsunion), ausbremsen.

Neun Kandidaten buhlen um die Gunst der Wähler. Der parteilose Václav Fischer hat seinen Wahlkampf wie aus dem PR-Schulbuch organisiert. Der 45-jährige Erfolgsmensch ist durch seine Firma Fischer-Reisen den Tschechen ein Begriff, seitdem er Anfang der 90er aus dem deutschen Exil heimkehrte und in die tschechische Tourismusbranche einstieg. Es ist dieser Tage in Prag unmöglich, nicht ständig von Václav Fischer begleitet zu werden: Überall lächelt er von Plakaten, historische Straßenbahnen fahren seinen Namen spazieren, bei allabendlichen Auftritten dürfen Prager Fischers Hand schütteln. Und: Fischer hat ein gutes Herz: Nicht nur, dass er sich mit seiner Václav-Fischer-Stiftung um arme Kinder kümmert. Noch am Wahlsamstag will er ein 50 Mann starkes Bergungsteam in das Erdbebengebiet in der Türkei entsenden.

Da bleibt den anderen Mitstreitern nur der Frontalangriff. Was er denn wolle, lässt sich ODS -Kandidatin Jirina Jiraskova vernehmen. Die Direktorin des „Theaters in den Weinbergen“, in dem auch First Lady Dagmar Havlova die Bretter betreten hatte, wirft Fischer vor, der Heimat den Rücken gekehrt und seinen Erfolg im Ausland begründet zu haben.

Fischer sei ein „Populist“, dem es nur um seine unternehmerischen Interessen gehe, wollte die Partei von Ex-Premier Václav Klaus dann auch via Anzeige den Wählern mitteilen: „Vielleicht glaubt er, dass, wenn im alten Rom ein Pferd in den Senat gewählt werden konnte, sein Reisebüro in unseren Senat kommt“, lautete der Anzeigentext, den die Tageszeitungen Lidove noviny und Mlada Fronta Dnes prompt ablehnten. „Wir haben nie Anzeigen veröffentlicht, die vor Wahlen andere Parteien oder Kandidaten angreifen“, sagt der Chefredakteur von Mlada Fronta Dnes, Petr Sabata.

Auch Ivan Medek, der Kandidat der Viererkoalition aus Parteien wie Unie svobody und KDU-CSL, war Ziel von Jiraskovas Angriffen. Der ehemalige Leiter von Präsident Havels Kanzlei ist wegen seines hohen moralischen und politischen Niveaus sehr geschätzt. Doch auch er verbrachte die Zeit des Kommunismus im Ausland, jedoch nur aus politischen Gründen, wie er behauptet.

Doch auch Jiraskova muss einstecken. Vorgeworfen wird ihr, dass sie jahrelang Mitglied der Kommunistischen Partei war und die Anti-Charta, die Antwort regimetreuer Künstler auf die Charta 77, unterschrieben haben soll.

Das Wühlen in der Vergangenheit ist ein beliebtes Spiel. Am meisten geschadet hat es dem Kandidaten der Sozialdemokraten, Karel Srp. Vorwürfe, Srp habe für die tschechische Stasi gespitzelt, haben seine Glaubwürdigkeit als ehemaliger Dissident stark beschädigt. Trotzdem zogen die Sozialdemokraten seine Kandidatur nicht zurück, vielleicht, weil er ohnehin aus dem Rennen ist.

Derzeit deutet alles darauf hin, dass Fischer künftig bei Verfassungsänderungen und Gesetzesnovellen mitmischt. Umfragen zufolge kann er mit 40 bis 50 Prozent der Stimmen rechnen. Sollte Fischer die absolute Mehrheit verfehlen, entscheidet eine Stichwahl in zwei Wochen. Ulrike Braun