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Raumpatrouille Mir beendet

Gestern verließ die letzte Besatzung die russische Raumstation Mir. Demnächst wird diese in der Erdatmosphäre verglühen – ansonsten: Kopf einziehen  ■   Von Matthias Urbach

Berlin (taz) – An der Mir scheiden sich die Geister. Die einen feiern die russische Raumstation als einen großen Erfolg, für die anderen ist es bloß eine Schrottlaube im All. Sicher ist, dass die Mir die romantischen – an Raumschiff Enterprise gebildeten – Vorstellungen des einfachen Erdenbürgers vom Leben im All erschüttert hat: statt blinkender schnieker Konsolen ein riesiger Kabelsalat. Statt überlegener Technik klemmende Ventile und funkensprühende Relais. Statt pfiffiger Bordingenieure in schmucker Uniform übermüdete und unrasierte Kosmonauten, die die Station schon mal durch das versehentliche Ziehen des Netzsteckers gefährden.

Das ist bald Geschichte. Falls alles geklappt hat, hat die letzte Besatzung – Sergej Awadejew, Wiktor Afanasjew und der Franzose Jean-Pierre Haignere – gestern abend um acht Uhr den Autopilot ein- und das Licht ausgeschaltet. Dann wollten sie die Stationsluke von außen schließen. Drei Stunden später sollten sie ihre Sojus-Kapsel abgetrennt und die Station in 350 Kilometer Höhe über der Erde allein gelassen haben, um Samstag früh um halb drei in der kasachischen Steppe zu landen.

Der Grund für die Aufgabe der Station ist so profan wie zwingend: kein Geld. 250 Millionen Dollar bräuchte die russische Raumfahrtbehörde, um die Mir am Leben zu erhalten. Geld, das sie nicht hat. Das ruft Raumfahrtfans aus aller Welt auf den Plan: Auf der Website „Keep Mir alive“ (www.space-frontier.org/Mir) kann man für den Erhalt der Station spenden. Die russische Raumfahrtbehörde hat solch rührender Fürsorge noch sechs Monate Zeit gegeben – schließlich hoffen auch deren Chefs noch immer, einen privaten Sponsor zu finden. Schlägt das fehl, wird Anfang 2000 noch einmal ein kleiner Kosmonautentrupp hochgeschossen, um die 125 Tonnen schwere, vier Meter dicke Röhre auszuschlachten und eine Raumkapsel anzudocken. Mit ihren Düsen soll sie die Station so in die Erdatmosphäre schieben, dass diese möglichst weitgehend verglüht und etwaige Trümmer über dem Pazifik niedergehen. Vielleicht reicht das Geld aber nicht einmal dafür. Dann heißt es: Kopf einziehen.

Allein dass sie jetzt erst aufgegeben wird, ist schon ein Erfolg: Sie hält bereits achteinhalb Jahre länger als geplant. Eigentlich war die im Februar 1986 in den Orbit geschossene Station nur für fünf Jahre konzipiert.

Zuletzt brauchten die Kosmonauten freilich drei Viertel ihrer Zeit für Reparaturen. Besonders die Crew von Wassili Ziblijew, die 1997 die Station bemannte, schwebte mehrfach in Lebensgefahr. Gleich dreimal forderten die Bordsysteme die Männer auf, die Station unverzüglich zu verlassen. Grund waren ein Feuer, ein Leck im Kühlsystem und der spektakuläre Zusammenstoß mit der Versorgungskapsel beim Andocken im Juni vor zwei Jahren, der die Welt in Atem hielt.

Dabei hatte die Versorgungskapsel ein Leck in die Haut der Mir gedrückt. Dadurch entwich die kostbare Atemluft. Zum Glück ließ sich das leckgeschlagene Modul rechtzeitig abriegeln. Grund für den Unfall war ein Steuerfehler von Kommandant Ziblijew. Der Kommandant musste per Hand steuern, ohne freie Sicht nach draußen. Der Flugdatenfunk von der Kapsel musste abgeschaltet werden, weil er die Videokamera an der Schleuse störte. Schwer, da keinen Fehler zu machen. Es gab mal einen Computer für solche Manöver, doch für die Wartung fehlte das Geld.

Obwohl die Nasa mit 400 Millionen Dollar aushalf, litt die Mir unter chronischem Geldmangel. Trotzdem brachte die Station erhebliche wissenschaftliche Erkenntnisse ein. Insbesondere die Forschungen zum längeren Aufenthalt im All sind von unschätzbarem Wert für die im Bau befindliche Internationale Raumstation (ISS). Awdejew, einer der letzten Kosmonauten, ist Rekordhalter für das Leben im All: 742 Tage hat er auf dem Buckel.

Entsprechend stolz sind die Russen auf die Mir. Die USA aber machten zuletzt keinen Hehl daraus, dass sie nichts davon halten, die Mir am Leben zu halten. Lieber sollten sich die Russen auf ihren Anteil an der ISS besinnen, deren Zeitplan sie bereits durch chronischen Geldmangel kräftig verzögert haben.

Vor allem eines haben die Russen in der Mir demonstriert: ihre Fähigkeit zur Improvisation. Eine Fähigkeit, die für die ISS unverzichtbar sein wird. Bei der Nasa verläuft dagegen alles stur nach Vorschrift. Allerdings waren Reparaturen in der Mir zuletzt zu einem großen Abenteuer geworden, denn niemand hatte die vielen Umbauten dokumentiert. Auf der Suche nach der Herkunft oder Bedeutung verschmorter Kabel mussten die Kosmonauten deshalb zuweilen großflächig die Verkleidungen von der Wand reißen. Aber warum sollte Handwerk im All auch deutlich einfacher sein als eine Renovierung zu Hause?

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