: „Wir Serben wollen nur weg von hier“
Die Serben in der Stadt Orahovac fürchten sich vor den Albanern. Sie leben auf engstem Raum in der direkten Umgebung der Kirche. Beschützt werden sie von einem deutschen Panzer ■ Aus Orahovac Erich Rathfelder
Der junge Albaner bleibt höflich. Das ist im Kosovo nicht mehr selbstverständlich. Vor allem dann nicht, wenn nach dem Weg zu einem serbischen Viertel gefragt wird. Und dann noch in Orahovac, das in diesen Tagen wegen des Konflikts um die Stationierung russischer Truppen unruhige Tage erlebt. Die Straße zum serbischen Viertel führt den Berg hinauf. Nach 400 Metern taucht ein deutscher Panzer auf. Einige albanische Männer sitzen im Schatten der Häuser, auf der anderen Seite des Panzers einige serbische Frauen.
„Keine besonderen Vorkommnisse“, sagen die KFOR-Soldaten. Eine Frau im serbischen Viertel sei krank geworden, die Ambulanz der Holländer sei unterwegs. Die KFOR-Soldaten bewachen die „Grenze“ zum serbischen Viertel der Stadt.
Ab jetzt grüßen die Menschen nicht mehr mit „Mirdita“, sondern mit „Dobar dan“, guten Tag. Die meisten sind freundlich, nur einige Männer werfen misstrauische Blikke auf die Eindringlinge. Doch sie geben bereitwillig Auskunft über ihr Leben. „Seit fast drei Monaten sind wir hier eingesperrt“, klagen sie. „Wir können 300 Meter den Berg hochlaufen, dann wieder zurück, das ist unser ganzes Viertel.“ Zu essen hätten sie genug, humanitäre Hilfe würde durch internationale Organisatinen hierher gebracht. Die Ungewissheit der Lage aber mache ihnen zu schaffen. „Psychisch, weißt du.“
Auf die Frage nach den Autoritäten, ihren Sprechern, zögern sie. Die seien nicht mehr da. „Unsere Leute sind vor einer Woche abgeführt worden“, sagen sie bedauernd und gleichmütig zugleich. Andjelko Kolasenac, der Bürgermeister, Vekoslav Simic, der Arzt, und Stanko Levic: Werden ihnenvom Den Haager Gerichtshof nicht Kriegsverbrechen vorgeworfen? Das Gespräch ist beendet. „Wenn ihr jemanden fragen wollt, dann geht zum Priester.“
Die Leute, die im Vorhof der Kirche sitzen, sind immer noch erregt über den „Übergriff der KFOR“. 50 deutsche Soldaten seien am Freitag vergangener Woche in die Kirche eingedrungen, hätten nach Waffen gesucht. „Gefunden haben sie aber nichts.“ Die Serben hätten vorher freiwillig alle Waffen abgegeben, „sogar mehr als auf der Liste stand“. Seither seien sie „schutzlos den Albanern ausgeliefert“. Zu den deutschen und holländischen KFOR-Soldaten haben sie kein Vertrauen, sie hoffen, dass endlich die Russen nach Orahovac komen. „Dann können wir uns sicherer fühlen.“
Der letzte Vorfall hätte sich vor 20 Tagen ereignet. Damals sei Dragan Simic von einem Albaner erschossen worden. Vor zwei Monaten, nach dem Einmarsch der KFOR-Truppen, seien 26 Serben aus der Stadt von UÇK-Leuten entführt worden. „Wir wissen nicht, wo sie sind.“ Langsam legt sich die Erregung, die Menschen beginnen zu erzählen. Die meisten sind Flüchtlinge aus den umliegenden Dörfern. Sie sind in der Kirche und dem Wohnhaus der Priesters untergebracht, 30 Leute müssen sich einen Raum teilen. Wasser gebe es nur wenige Stunden in der Woche, am schlimmsten sei, dass sie nichts zu tun hätten.
„Ich will weg von hier, ich will nach Serbien“, bricht es aus einer älteren Frau heraus. Sie stammt aus dem Dorf Suciste, das bei den Kämpfen im Juli letzten Jahres von UÇK-Leuten besetzt worden sei. Ihr Haus sei damals zerstört worden, berichtet due alte Frau, seither lebten sie und ihre Familie als Flüchtlinge in Orahovac. Andere Familien haben ebenfalls fast alles verloren, die Serben aus gemischten Dörfern können nicht mehr zurückkehren. „Am liebsten möchte ich nach Hause“, sagt eine Bäuerin, „wenn aber das nicht geht, dann nach Serbien, selbst wenn die Russen kommen.“
Das Leben in dieser eingeschlossenen Enklave sei unerträglich, 1.000 Menschen lebten hier auf engstem Raum zusammen, fügt sie unter dem Kopfnicken der Umstehenden hinzu. Mehrere Frauen, die aus der Krajina in Kroatien stammen und 1995 als Flüchtlinge oder Vertriebene in das Kosovo kamen, wollen ebenfalls nur eins, weg von hier. „Hier hält mich nichts. Warum werden wir hier gegen unseren Willen festgehalten?“
Die Vertreter des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) hätten ihnen vor zwei Monaten erklärt, ein Abtransport komme nicht in Frage. „Sie wollen uns hier halten, dies ist die internationale Politik.“ Kann überhaupt noch ein multikulturelles Kosovo entstehen? Alle reden durcheinander. Die Terroristen hätten den Krieg angefangen, die Armee habe nur die Serben beschützt, den Albanern sei eigentlich nichts passiert, behaupten die Frauen. „Massengräber gibt es auch für die Serben im Kosovo.“
Die jüngeren Männer bleiben stumm. Die Frage, ob sie beim Paramilitär waren, wollen sie nicht beantworten. Sie ziehen es vor wegzugehen. Kann es nach all den Verbrechen gerade im Bezirk Orahovac überhaupt noch eine Versöhnung geben? Ein alter Mann antwortet: „Es wurden viele schlimme Dinge gemacht, von allen Seiten.“
In der Nähe des deutschen Panzers haben sich einige Jugendliche versammelt. Die kranke Frau ist abtransportiert worden. Sie wird im Krankenhaus von Prizren, das jetzt von albanischen Ärzten geleitet wird, behandelt werden. „Wir sind strikt unparteiisch“, sagt der deutsche Unteroffizier, „das ist nicht immer leicht. Wenn wir den Befehl bekommen, Kranken zu helfen, tun wird dies, wenn wir den Befehl bekommen, Kriegsverbrecher zu verhaften, tun wir dies auch. Wir sind Soldaten.“ Seit 20 Tagen sei wegen der ständigen Präsenz der KFOR im serbischen Viertel alles ruhig geblieben. Der Serbe Simic sei am selben Tag wie ein Kämpfer der UÇK von Serben erschossen worden sei. „Das war damals wohl ein gezielter Racheakt.“ 60 Serben seien unter KFOR-Schutz inzwischen aus der Enklave nach Serbien gebracht worden. Eine dauerhafte Lösung des Konflikts hier in Orahovac sehe er aber nicht, sagt der Soldat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen