Pablo Sierra spuckt in die Suppe

Der Spanier Abel Antón verteidigt seinen WM-Titel im Marathon, doch Dopingvorwürfe eines ehemaligen Teamkollegen trüben den Triumph  ■   Aus Sevilla Matti Lieske

Auf einmal wurde der bis dahin ausgesprochen überschwengliche Abel Antón sehr kühl und reserviert. „Ich kenne diesen Athleten nicht“, sagte der alte und neue Weltmeister im Marathonlauf, als er auf seinen spanischen Landsmann Pablo Sierra angesprochen wurde, und fügte dann sparsam hinzu: „Kein Kommentar.“ Eine unglückliche Antwort, denn Abel Antón kennt Pablo Sierra sehr gut. Dieser ist auch Marathonläufer, und zwar einer der besten Spaniens. Er war es zumindest, bis er vor zwei Jahren seine Kollegenschaft, und insbesondere den damaligen Nationalhelden Martin Fiz, Weltmeister von Göteborg 1995 und Silbermedaillengewinner 1997 bei der WM in Athen hinter Antón, des Dopings bezichtigte. Der spanische Verband reagierte blitzschnell und zielsicher: Er sperrte Pablo Sierra für sechs Monate.

Jetzt hat dieser seine Vorwürfe bekräftigt. In einem Interview mit der französischen Zeitung L' Équipe sprach er vom massiven Einsatz nicht nachweisbarer Wachstumshormone und einer rapide zunehmenden Verwendung des Mittels Erythropoietin (Epo) im Marathon, welche die portugiesische Olympiasiegerin von Seoul, Rosa Mota, schon 1993 beklagt hatte. Sierra belastete erneut die spanische Mannschaft, die in den letzten Jahren mit den WM-Titeln von Fiz 1995 und Antón 1997 und 1999 besonders erfolgreich war. Es liegt auf der Hand, dass die Verwendung von Epo, welches die Zahl der roten Blutkörperchen erhöht und damit den Sauerstofftransport verbessert, in der Leichtathletik nicht nur im Marathon, aber dort besonders effektiv ist. Da sich der Internationale Leichtathletikverband (IAAF) ebenso wie das IOC beharrlich sträubt, Blutkontrollen zur Ermittlung des Hämatokritwertes einzuführen, so wie es seit 1997 im Radsport geschieht, ist dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Die Reaktion aus dem Lager der Verdächtigten war die übliche. „Die sollen erst mal ihr eigenes Wasser reinigen“, meinte Miguel Mostaza, Manager von Antón und Fiz, „diese Geschichten kommen immer aus Ländern wie Frankreich, die gerade keine erfolgreichen Marathonläufer haben.“ Und dann der obligatorische Hinweis, dass keiner der spanischen Athleten je positiv getestet worden sei. Das wäre auch ein kleines Wunder, wo es doch um mit herkömmlichen Urintests nicht nachweisbare Mittel geht.

Egal, ob legal oder illegal, gelohnt hat sich der Marathon von Sevilla für Abel Antón in jedem Fall. Neben den 60.000 Dollar der IAAF für den Weltmeister hat der spanische Verband 100.000 Dollar für jeden spanischen Champion ausgelobt. Außer dem nationalen Aspekt und dem erhebenden Gefühl, nach 42 Kilometern Tortur als Erster in ein mit 60.000 frenetisch jubelnden Zuschauern vollbesetztes Stadion einzulaufen, genug Anreiz, in Sevilla zu starten. Viele andere Topstars des Marathon hatten lieber auf das zweifelhafte Vergnügen verzichtet, am Samstagabend bei Temperaturen von 35 Grad auf die Strecke zu gehen, und laufen stattdessen in Berlin oder New York, wo es auch einiges zu verdienen gibt. Eine Entscheidung, für die Antón durchaus Verständnis hat. „Wir sind Profis, aber anderen würde ich raten, es nicht zu tun“, sagte er vor dem Hitzerennen durch die von Palmen, Orangenbäumen und rund 100.000 Zuschauern gesäumten Straßen von Sevilla.

Mit seinen 36 Jahren verfügt Abel Antón über genügend Erfahrung, auch in einem derartigen Lauf zu bestehen. Während der Marokkaner Mustafa Damaoui auf der ersten Hälfte der Strecke munter vorne weg lief und schon kleine Siegesfeiern veranstaltete, wartete der Spanier ab. „Auf den ersten 20 Kilometern an die Temperaturen gewöhnen, die zweite Hälfte schnell sein“, war sein taktisches Konzept, das vorzüglich aufging. Als Damaoui, am Ende 14., zurückfiel und der Japaner Sato die Führung übernahm, machte sich Antón mit dem Italiener Vincenzo Modica und dem Kenianer Simon Biwott an die Verfolgung. Dann schwächelte überraschend der Afrikaner, Antón klopfte Modica auf die Schulter und sagte: „Komm, lass uns abhauen.“ Den Italiener wurde er schließlich mit einem perfiden Zwischenspurt los, als sich der arglose Modica gerade mit Wasser versorgte, und dann war der Japaner dran. Zwei Kilometer vor dem Ziel setzte sich Antón an die Spitze, was bei den sogleich von diesem epochalen Ereignis informierten Zuschauern im Stadion einen gewaltigen kollektiven Schrei der Begeisterung auslöste. Die „Yago“-Gesänge, mit denen Weitsprunghoffnung Yago Lamela bei seiner vergeblichen Jagd auf den Kubaner Ivan Pedroso angestachelt wurde, gingen nahtlos in „Abel“-Gesänge über.

„Hundertprozentig auf Sydney vorbereiten“, ist jetzt das nächste Ziel von Abel Antón, denn mit olympischem Gold würde er nach seiner bescheidenen Meinung endgültig „der größte Leichtathlet aller Zeiten“ in Spanien werden. „Im Moment hat nur Fermin Cacho mehr erreicht als ich“, sagt er selbstbewusst. In Sydney will das IOC erstmals Bluttests durchführen, allerdings nur zur Probe und auf freiwilliger Basis. Man darf wohl davon ausgehen, dass Abel Antón und Martin Fiz, in Sevilla Achter, dabei nicht unbedingt in der ersten Reihe stehen werden.