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Die neue Transparenz wird geprobt

■ Ab heute werden die künftigen Europa-Kommissare befragt

Brüssel (taz) – Vom heutigen Montag an müssen die neunzehn designierten EU-Kommissare dem EU-Parlament Rede und Antwort stehen. Jeweils drei Stunden werden sie vor dem für sie zuständigen Ausschuss befragt. Zwar kann das Parlament nicht einzelne Kommissare ablehnen, und es stehen auch nur ebenso viele Kandidaten zur Debatte, wie es Komissare gibt. Doch eine negative Bewertung mehrerer Kandidaten würde zu einer Neuzusammensetzung der Kandidatenliste durch Kommissionspräsident Romano Prodi führen. Den Anfang der Befragungen macht heute Nachmittag die künftige Kommissarin für Energie und Verkehr, die Spanierin Loyola de Palacio. Am frühen Abend ist der Österreicher Franz Fischler dran. Morgen Nachmittag wird die Grüne Michaele Schreyer ihren Auftritt haben.

Rechtzeitig vor Beginn der großen Frage-Runde haben die Neuen demonstriert, dass sie Transparenz zu ihrem Markenzeichen machen wollen. Zugänglich für jedermann stellten sie deshalb die ausgefüllten Fragebögen ins Internet, die ihnen von den Ausschüssen vorab zugeschickt worden waren (www.europa.eu.int). Die Fragen waren allerdings oft aufschlussreicher als die politisch hochkorrekten Antworten. Neil Kinnock zum Beispiel, der in Zukunft die Reform der Kommission vorantreiben soll, wird vom Haushaltskontrollausschuss gefragt, ob es nicht sinnvoll wäre, den Aufgabenbereich Korruptionsbekämpfung seinem Ressort zuzuschlagen. Im Klartext hieße das: noch weniger Kompetenzen für die umstrittene Michaele Schreyer. Der Engländer antwortet, ganz Gentleman, zum Thema Kommissionsreform solle eine Arbeitsgruppe unter seinem Vorsitz gebildet werden, der die für Korruptionsbekämpfung zuständige Kommissarin Schreyer natürlich angehören werde.

Vielleicht waren die Kommissare selber mit ihrem Start in die neue Kultur der Transparenz nicht recht zufrieden. Am Freitag setzten sie jedenfalls noch eins drauf und verabschiedeten einen neuen Moralkodex. Dieser verlangt, dass sie Nebentätigkeiten, Vermögenswerte und Beruf des Ehepartners angeben, falls daraus ihrer Ansicht nach ein Interessenkonflikt mit dem neuen Amt entstehen könnte. Wo Interessenkonflikte lauern, darüber sind die Neuen aber sehr unterschiedlicher Ansicht.

Verheugen und Schreyer zum Beispiel haben nach eigenen Angaben weder Aktien noch Grundvermögen. Dies veranlasste einen spanischen Journalisten zu der Frage, wie es denn um die Lebenstüchtigkeit der Kandidaten bestellt sei, wenn sie es in mehr als zwanzig Berufsjahren in hoch dotierten Jobs nicht einmal zu einem kleinen Besitz gebracht hätten.

Auch bei Franz Fischler ist kein Geldvermögen übrig geblieben. Dafür übt der derzeitige und zukünftige Landwirtschaftskommissar „externe Tätigkeiten“ aus, die er für problematisch hält. Er ist Präsident des Tiroler Blasmusikverbandes und Obmann des Vereins der Freunde des Tiroler Volkskunstmuseums. Sollte die EU je einen Fonds für alpenländische Brauchtumspflege ins Leben rufen – er käme in Bedrängnis.

Am ausführlichsten äußert sich der Chef Romano Prodi. Er sieht überall mögliche Interessenkonflikte mit dem neuen Amt: Unter anderem hält er sein Engagement in einer Behindertenorganisation und den 50-Prozent-Anteil an einer Zweizimmerwohnung in Bologna sowie die Hälfte einer Bürowohnung mit vier Zimmern für erwähnenswert.

Der Einzige, dessen Erklärung wirklich eine brisante Information enthält, ist der künftige französische Außenhandelskommissar Pascal Lamy. Er gilt als einer der wackligsten Kandidaten in Prodis Team. Als Kabinettschef der Kommission Delors soll er bis 1994 einige der Schlampereien mit in die Wege geleitet haben, die letztendlich zum Rücktritt seines Nachfolgers Jacques Santer führten. Laut Fragebogen nennt er heute Aktien der Bank Crédit Lyonnais im Wert von 30.000 Euro sein eigen. Dass er bis 1997 stellvertretender Direktor und seither Mitglied im Exekutivausschuss der Bank war, hält Lamy aber nicht für erwähnenswert. Daniela Weingärtner

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