Grillen über Müll und Dreck

In Rumänien grassiert derzeit eine Meningitis-Epidemie. Grund ist der desolate Zustand der Infrastruktur und die Nichtbeachtung von Hygieneregeln  ■   Aus Bukarest Keno Verseck

Melonen und Kartoffeln sind neben Müllhaufen aufgestapelt. Die wenigen Abfalltonnen quellen über. Schlammrinnsale schlängeln sich zwischen den Ständen hindurch. Die meisten haben sich daran gewöhnt, dass der Markt mit Papier- und Plastikresten, zerrissenen Kartons, leeren Flaschen und faulenden Obst- und Gemüseresten gepflastert ist. Inmitten von bunt schimmernden Pfützen brät ein Mann auf einem Grill Gehacktes. Die Käufer schlingen die Ware schnell herunter und werfen dann die senfverschmierten Papierteller einfach neben sich hin. Lieferwagen hupen sich den Weg durch das Gedränge frei und nebeln alles mit ihren Abgasen ein.

Bukarest, Obor-Markt. Er ist einer der grössten Märkte der rumänischen Hauptstadt. Bei einer Kontrolle stellten Beamte der Bukarester Verbraucherschutz-Zentrale fest, dass auf dem Obor-Markt – wie auf den meisten anderen Märkten der Stadt – Hygienebestimmungen kaum respektiert werden. Bukarests Märkte, so die Schlussfolgerung, sind der „ideale Ort für Infektionskrankheiten“.

Gleich mehrere solcher Krankheiten haben sich derzeit in ganz Rumänien zu Epidemien ausgeweitet. Seit Anfang August wütet eine Meningitis-Epidemie. Bis zum Wochenende stieg die Zahl der Kranken auf 3.500. Am meisten betroffen ist die Moldau im Nordosten Rumäniens, darunter besonders die grösste Stadt Iasi. Aber auch die Schwarzmeer-Hafenstadt Konstanza und Bukarest verzeichnen einige hundert Fälle. Ebenso sind Hepatitis und Typhus aufgetreten. Bei Bindehautentzündungen liegt die Zahl der Fälle besonders hoch. Allein in Bukarest verzeichneten Ärzte 2.000 Fälle.

Mihai, ein zwanzigjähriger Arbeitsloser, ist vor vier Tagen in die Bukarester Colentina-Klinik eingeliefert worden. Diagnose: Meningitis. „Ich hab einige Tage lang kalt geduscht“, rätselt er über den Ursprung der Infektion, „danach bekam ich Kopfschmerzen und mir wurde schlecht.“ Ob er seine Hände, Lebensmittel immer gewaschen hat? Er überlegt, kann sich richtig erinnern. Der Arzt, der ihn untersucht habe, habe ihm keine Hygiene-Ratschläge erteilt.

Wie Mihai so passiert es alljährlich tausenden und jedes Jahr kommt es in Rumänien im Sommer zu Epidemien. Neben Meningitis erkrankten in den vergangenen Jahren viele Menschen an Ruhr, Hepatitis, Typhus und Cholera. Auf die Frage nach den Gründen für diese Regelmässigkeit reagiert Dr. Calin Alexandru, Chefberater des Gesundheitsministers Gabor Hajdu, verärgert: „Von einer deutschen Zeitung sind Sie? In Deutschland werden die Ausmasse der Meningitis-Epidemie übertrieben. Diesmal handelt es sich um einen ungefährlichen Virus, anders als bei der Meningitis-Epidemie vor drei Jahren. Wir hatten ja auch noch keine Todesfälle.“

Was der Ministerialbeamte nicht sagen will, davor warnen rumänische Behörden und Ärzte ständig: Die meisten Städte, Siedlungen und Dörfer ersticken im Müll. Das Kanalisations- und Wasserleitungsnetz funktioniert entweder nur schlecht oder gar nicht. Millionen von Ratten bevölkern die Städte. In nahezu allen öffentlichen Einrichtungen, von der Dorfbürgermeisterei bis hin zum Bukarester Regierungspalast, werden die Toiletten selten sauber gemacht und kommt kein Wasser aus den Hähnen – wenn es sie gibt.

Wegen der Meningitis-Epidemie hat das Gesundheitsministerium jetzt angeordnet, dass der Beginn des Schuljahrs in Nordostrumänien vom 1. auf den 13. September verschoben wird. Der Grund: Kinder und Jugendliche sind von der Krankheitswelle am meisten betroffen. Ohnehin dürfte die überwiegende Zahl der Schulen im Land gar nicht öffnen, weil sie keine Hygienegenehmigung vom Gesundheitsamt besitzen.

Doch Schuld an der Misere sind nicht nur Behörden oder der defizitäre Staatshaushalt, der nur wenige Investitionen in die Verbesserung der öffentlichen Infra- und Hygienestruktur zulässt. Auch das Umwelt- und Hygienebewusstsein vieler Menschen reicht nur bis zur eigenen Haustür. „Es stimmt, dass das Gesundheitsministerium aus dem Staatshaushalt so wenig Geld bekommt, dass wir damit auf einem der letzten Plätze in Europa liegen“, sagt Dr. Bogdan Circiumaru, Arzt an der Bukarester Colentina-Klinik für Infektionskrankeiten. „Auch die Leute haben Schuld. Überall verbergen sich hinter den Fassaden der Boutiquen und Restaurants riesige Müllberge. Prosperität, die auf Abfall gebaut ist. Wenn sich das nicht ändert, kommt die nächste Epidemie in einem Jahr ganz sicher. Jetzt können wir nur hoffen, dass es kälter wird.“