Schmacht! ... der Polizei nicht

■ Dadasophie für AnfängerInnen und solche, die es werden wollen: Hans Königs Dada-Revue im Kulturbahhof Vegesack

Peng! Kaspar ist tot. Da fällt er um, hinten im Raum. Wie belebte Magrittefiguren treten andere in unser Blickfeld, schauen hinter Zeitungpapierwänden hervor. Sie trauern. Oder jubilieren. Kaspar ist tot, Halelujah! Doch nichts ist so, wie es scheint. Das hat uns der Schlacks mit auf den Weg gegeben, der uns, meist mit einem Eimer voller Irgendwas am Arm, von Szene zu Szene winkt.

Dada also. Großstadtkultur par excellence, grotesk, absurd, schön. Zur Stadt gehört: Bewegung. Vielleicht das Faszinosum der ersten Generation. Und so bewegen auch wir uns im Raum, der mal hier, mal dort bespielt wird. Aber die Revue, die Hans König, seines Zeichens künstlerischer Leiter des Kulturbahnhofs Vegesack, aus alten, neueren und eigenen Texten gebastelt hat, ist so hinreißend komisch, dass es ohnehin niemand auf dem Sitz gehalten haben dürfte. Die Auswahl konzentriert sich auf die Schnittstellen mit dem Surrealismus, zeigt mithin eine ganz andere Seite von Dada. Ein einziges Lautgedicht findet sich in gut anderthalb Stunden. Also wilder Aktionismus, fast könnte man sagen: Ideologiekritik.

Das Leben ist eine Einbahnstraße, wie das richtungsweisende Schild draußen vor dem Eingang verkündet. Rein kommt erstmal gar keiner. Einer läuft mit dem Spaten bewaffnet durchs Gelände. Gräbt hier, kratzt dort. Ein Paradebeispiel sinnloser Arbeit. Die Szenen ziehen vorbei wie Flugfische oder Hintertüren. Zack, vorbei, die nächste bitte. Danke. So buchstabiert man Kurzweil.

„Tue stets, als würdest du das Leben ernst nehmen. Die Klugen halten dich, falls sie es glauben, für vertrauenswürdig; glauben sie es nicht, für klug“, schrieb Walter Serner in sein „Handbrevier für Hochstapler und solche die es werden wollen“. Kandidaten sind in einer Caféhausszene vorhanden, die, quasi als roter Faden, immer wieder alle acht AkteurInnen versammelt. An einem Schachbrett sitzen vierzig Räuber (Uwe Pekau). „Sie spielen gar nicht schlecht für eine Nacktschnecke“, sagen sie. Die Schnecke (Anika Ruß) bedankt sich und zieht sich dann über den Boden, erklärt dabei, dass sie nur ein Mensch ist, der Schnecke-Sein vorgibt, oder Mensch-Sein, oder so. Alles ist irgendwie, aber nichts so, wie es scheint. Dazu drückt der Ober (Matthias Reincke) manchmal Frau Breuchenkreuchs (Ruth Große-Wilde) Gesicht in eine Wasserschüssel. Ich wüsste nicht, warum das wesentlich absurder sein sollte als was sonst so geschieht in der „wirklichen“ Welt. „Schmacht!“, gewinnt die Nacktschnecke ihr Spiel, alle Husten. „Wem sagen sie das?“, fragt's aus einer Ecke, in der anderen schiebt sich ein Kopf herein: „... der Polizei doch nicht!“

Geschickt werden einige kurze Episoden des argentinischen Erzählers Julio Cortàzar in den Dadazusammenhang eingebunden. Etwa wenn in seine „Unterweisung im Uhrenaufziehen“ nicht: „Du hast deine Uhr, wie schön“, sondern: „Deine Uhr hat dich“ die Dada-Aktion schlechthin hineinzitiert wird. Lody Kroll zieht dem armen, beuhrten Uwe Lüttich das Messer über die Bartstoppeln, während sie ihn über die Zeit, will sagen: den Arbeitstakt aufklärt.

Walking on the wild side of Dada, spielt das Ensemble so, dass man früher „...mit Herzblut“ gesagt hätte. Es ist für dies Projekt neu zusammengewürfelt worden; aus Bremer SchauspielerInnen, die ganz offensichtlich einen Narren an diesen (im doppelten Sinne) phantastischen Texten gefressen haben. Dramatisiere nie, vereinfache immer. König hält sich an Serners Rat und fährt damit ausgezeichnet. Die Bilder bewegen sich irgendwo zwischen Autismus und Readymade. Das ist nicht nur große Kleinkunst, sondern auch ziemlich erschreckend aktuell. Unernst kann, auch das zeigt dieser Abend, erstaunlich subversiv sein. Tim Schomacker