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„Kriegsgefangene“ oder „Terroristen“

In serbischen Gefängnissen werden noch mindestens zweitausend Kosovo-Albaner festgehalten. Weil die Gefangenenfrage in Verhandlungen mit Belgrad nicht geklärt wurde, ist ihr Status ungewiss    ■ Von Boris Kanzleiter

Berlin (taz) – Für knapp zweitausend kosovo-albanische Gefangene und ihre Familien ist der Krieg noch nicht beendet. Wie Urs Boegli, Sprecher des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) in Genf bestätigt, befinden sich noch mindestens 1.925 Personen kosovo-albanischer Herkunft in serbischen Gefängnissen. Dabei handelt es sich um Personen, die bereits vor dem Beginn der Nato-Luftangriffe inhaftiert waren, zum größten Teil aber um Menschen, die während der Vertreibungswelle von Ende März bis Mitte Juni von Soldaten der jugoslawischen Armee und Polizeikräften verhaftet wurden. „Nach dem Ende der Luftangriffe wurden sie mit den abziehenden Truppen nach Serbien gebracht“, sagt Boegli.

Dort droht ihnen ein Prozess wegen „Terrorismus“, da viele von den serbischen Behörden verdächtigt werden, UÇK-Mitglieder zu sein. Dem widersprechen Angehörige vieler Häftlinge. So auch Naxhie Asllani aus Kosovska Mitrovica, einer Stadt im Norden des Kosovo. „Mein Mann Gani Asllani war vor dem Krieg überhaupt nicht politisch aktiv“, berichtet sie. „Am 15. April floh er mit meinem Schwiegersohn vor den serbischen Übergriffen in Richtung Albanien. Doch die Soldaten ließen sie nicht zur Grenze. Am 25. April wurde er dann mit allen anderen Männern zwischen 18 und 50 Jahren in Srbica verhaftet und zunächst in Smrekovnica im Kosovo inhaftiert.“

Während ihr Schwiegersohn am 12. Mai entlassen wurde und nach Albanien flüchten konnte, sei ihr Mann in Haft geblieben. „Die serbische Polizei hält ihn jetzt in Pozarevac in der Nähe von Belgrad fest“, erzählt Frau Asllani, die vom Roten Kreuz über den Verbleib ihres Mannes informiert wurde (s. Interview). „Wir wollen ihn besuchen, aber wir haben Angst, nach Serbien zu fahren.“

In Priština haben Angehörige der Gefangenen in den letzten Wochen mehrmals demonstriert, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Dabei wurde allerdings deutlich, dass die internationalen Organisationen bei der Gefangenenfrage eine Verhandlungslücke gelassen haben. Weder tauchen die Gefangenen in den Vereinbarungen von Kumanovo auf, die zwischen Nato und jugoslawischer Regierung zur Beendigung des Krieges geführt worden waren, noch wurden sie in der Resolution 1244/99 des UN-Sicherheitsrates, die die internationale Präsenz im Kosovo regelt, berücksichtigt.

Dieses Versäumnis führt nun dazu, dass der Status der Gefangenen umstritten ist. Während Belgrad sie als jugoslawische Staatsbürger betrachtet, die folglich der jugoslawischen Rechtsprechung unterliegen, sehen kosovo-albanische Organisationen in ihnen „Kriegsgefangene“, die über einen dementsprechenden rechtlichen Status verfügen. Boegli weist darauf hin, dass in Rambouillet die Gefangenenfrage noch mit einbezogen war. „Bei den Verhandlungen über ein Ende der Luftangriffe hat dafür wohl die Zeit gefehlt“, meint er. Angehörige wie Naxhie Asllani appellieren daher an die verantwortlichen Organisationen, die Gefangenenfrage zum Thema von Verhandlungen mit Belgrad zu machen. Solange dies nicht geschieht, würden sie weiter demonstrieren, kündigen sie an.

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