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Ein Hauch von Freiheit

Die Wagenburg in Karow machte ihre Pforten auf für Skeptiker. Zu sehen gab es 80 zufriedene Menschen    ■ Von Susanne Klingner

Auf der „Sesamstraße“ liegen Hasenköttel, am Rand stehen bunte Briefkästen und eine selbstgebaute Wetterstation. So muss das Dorf aussehen, in dem die Villa Kunterbunt steht. Am nordöstlichen Stadtrand Berlins, in Karow, stehen viele bunt bemalte Wagen, von ihren Wänden lachen Blumen. Kleinbusse, Zirkuswagen und DDR-Pappbauwagen ergeben ein Potpourri der Wohnmöglichkeiten. Hier wohnen rund 70 Erwachsene und 10 Kinder in einem Wagendorf.

Vorgestern haben die Bewohner ihre Pforten für die Berliner geöffnet. Sylvia Steinich, Projektkoordinatorin und Bewohnerin, will mit dem Tag der offenen Tür „allen die Angst nehmen, die immer noch Bedenken gegenüber der Wagenburg haben“. Denn das Leben im Wagen ist bisher gesellschaftlich kaum anerkannt. Bei einer von der Hellersdorfer PDS im Mai 1998 initiierten Umfrage etwa sprachen sich mehr als 80 Prozent der Bewohner gegen die Ansiedlung einer Wagenburg aus.

Bedenken gibt es auch in der Senatsverwaltung: Seit 1996 versucht die Stadt nach und nach alle Rollheimer von ihren Plätzen zu vertreiben. Immerhin 6 Wagenburgen haben diese Versuche überlebt. Sicher vor dem Räumungsbefehl aber sind nur 2: die in Karow und eine weitere in Köpenick sind vertraglich abgesichert.

Um ihre Daseinsberechtigung zu erhalten, gründeten die Bewohner im Frühjahr 1994 einen gemeinnützigen Verein für die Förderung der Erziehung, Volks- und Berufsbildung und des Umweltschutzes, kurz: Pankgräfin e. V. Die Mitglieder haben sich hohe Ziele gesteckt, die tatkräftig umgesetzt werden. Zur Zeit wird etwa der „Wildgarten an der Panke“ angelegt. Hier sollen alte Kulturpflanzen erhalten und soll die Artenvielfalt gefördert werden.

Die Tiergehege für Schweine, Ziegen, Schafe, Hasen, Enten und Gänse sollen noch ausgebaut werden. Aus Ziegenmilch wird Käse hergestellt, und einige Schweine fallen dann und wann dem Hunger zum Opfer – die Kinder können hier die Tiere, von denen sie leben, hautnah erleben.

Ihr Abwasser klären die Bewohner selbst in einer eigenen Pflanzenkläranlage. Die Abwässer werden in vier hintereinander geschaltete Wasserbassins mit Pflanzen und Kies geleitet. Das gereinigte Wasser nutzen die Bewohner wieder zur Bewässerung der Gärten. So schließt sich ein Kreislauf.

Bei seiner Arbeit erhält der Verein auch Hilfe von außen. Der Wildgarten wird von den Berliner Forsten und der Stiftung Naturschutz unterstützt, bei anderen Projekten arbeitete man mit der Grünen Liga, der Treberhilfe oder dem Energieseminar der Technischen Universität zusammen.

Nahe dem Naturschutzgebiet „Karower Teiche“ und der Panke proben die Wagendörfler auf viereinhalb Hektar das alternative Leben. Kinder rennen die Sesamstraße entlang, Hunde hinterher. An jeder Ecke klingt Musik. Sylvia, 33 Jahre alt, ist die Begeisterung anzumerken: „Jede Ecke ist ein eigenes Leben, genug Raum für Selbstverwirklichung.“ Dann zieht sie ihrem Sohn Max das T-Shirt zurecht und schlendert mit ihrem großen schwarzen Hund fröhlich weiter durch das Dorf.

Auf der „Gästeplatte“ wohnen die beiden „Neuen“, Leila und Falko Eberwein, 21 und 26 Jahre alt. „Wir suchten nach einer Alternative zum städtischen Leben und wollten eigentlich in eine Kommune ziehen“, sagt Falko. Über einen „Gemeinschaftsführer“ sind sie vor zwei Wochen in Pankow gelandet.

Der Grundsatz des Wohnprojektes, „Whatever you offer to yourself, you offer to community“, (was immer du für dich tust, tust du auch für die Gemeinschaft) beschreibt treffend das Lebensgefühl der Karower Rollheimer. Doch das Wagendorf ist keine Kommune im klassischen Sinne: Jeder zahlt seine Miete, von der 20 Mark in die Gemeinschaftskasse wandern. Jedem ist es freigestellt, sich an den anfallenden Arbeiten zu beteiligen und damit seinen Anteil wieder herauszuwirtschaften.

Das Karower Wagendorf zeigt auch: Wer im Bauwagen lebt, muss nicht aus der Gesellschaft aussteigen. Lutz Neumann etwa hat eine eigene kleine Spedition. Er übernimmt Kurierfahrten und Ferntransporte. Andere arbeiten als Händler auf Mittelalter-Märkten. Viele hier müssen sich, wie jeder andere in der Stadt, morgens auf den Weg zur Arbeit machen.

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