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Stammtisch in Slubice

60 Jahre nach dem Überfall auf Polen überwiegen Vorurteile. Wer sich aber tiefer ins Land wagt, schwärmt von trendigen Frauen und engagierten Arbeitnehmern    ■ Von Annette Rollmann

Sie leckt sich genüsslich die fettigen Finger ab. Das Brathähnchen ist abgenagt. Dann schaut sie hoch: Es sind nette Augen, mit einem netten Traum, umschminkt mit dicker Wimperntusche und viel blauem Lidschatten. Renate, 18 Jahre alt, will Grafikdesignerin werden. Sie träumt von einem Leben in einer großen Stadt, wo nicht Platinblond in ist, das sie sich gerade beim Friseur „hat machen lassen“, wo nicht der Geruch von billigem Fett und schlechter Majonäse die angestammte Hoheit über den Biertischen hat.

Hier, auf dem täglichen Markt in der polnischen Grenzstadt Slubice, herrscht eine andere Kultur als in den schillernden Großstädten des Westens. Auch in Petras Heimatstadt schillert wenig. Nur besser als in Slubice ist es allemal. Davon ist sie überzeugt. „Wir kommen von dort drüben.“ Dort drüben ist einen halben Kilometer entfernt, heißt Frankfurt (Oder) und vor allem – Deutschland.

„Wir gehen nur über die Brücke, wenn wir was besorgen wollen, Zigaretten oder Schuhe oder Essen“, sagt Renate. Für sie ist Slubice vor allem billig. Und wie steht es mit der Oderbrücke als einem Symbol der Begegnung zwischen Polen und Deutschen? Dass sich gerade dort vor wenigen Tagen der polnische Staatspräsident und der deutsche Bundespräsident anlässlich des 60. Jahrestages des deutschen Überfalls auf Polen die Hand reichten? Das alles hat in Renates Welt keine Relevanz: „Sie können schreiben: Alles schön billig hier auf dem Markt.“ In Frankfurt (Oder) will man ansonsten mit den Polen nichts zu tun haben. „Es geht nicht um zwei Stadtteile. Es geht um zwei Länder.“ Hier ist Grenze, und sie meint damit nicht nur die Ausweiskontrolle auf der Brücke. Einmal habe sie Polen im Urlaub kennen gelernt. Von denen sei sie beklaut worden: „Jetzt ist Schluss mit Freundschaft!“

Der Markt im polnischen Slubice, mit seinen 18.000 Einwohnern, ist für viele Deutsche ein Einkaufseldorado. Die Preise liegen bisweilen um ein Viertel niedriger als bei vergleichbarer Ware in Deutschland. Das Angebot ist groß: vom modernen Kinderwagen, der schnittigen Sportjacke über altbackenes, polnisches Bleikristall in Form von Gläsern und Vasen bis zu praktischen Dingen wie Automatten und Angelhaken. Aber es gibt auch Spitzenkleidchen für Mädchen, mit denen der Traum von der Prinzessin in Hellblau, Rosa und Orange am eigenen Kind gelebt werden kann.

Der Kitsch ist nicht für die Polen bestimmt: 70 Prozent der Käufer, die auf den Markt kommen, sind Deutsche. Der Rest der Kunden sind Russen. Tomasch ist 38, betreibt hier einen Imbiss und pflegt die Besonderheit, seine Bratwürste lieber in der Mikrowelle aufzuwärmen als auf dem Grill zu rösten. Die Würste mit Salat, Brötchen und Senf, für 3,50 Mark alles inklusive, werden gerne gegessen. An seinen Biertischen hört man fast nur Deutsch: „Nur wenige Polen verirren sich hierher.“ Das Verhältnis der Polen zu den Deutschen sei dennoch gut. Er lebt ja auch von seinen Kunden, wie alle anderen 1.150 Menschen, die hier Arbeit gefunden haben.

Auf den Markt kommen nicht nur Grenzgänger. Man hört dort genauso Rheinisch oder Bairisch. Doch gerade für Berliner ist die einstündige Autofahrt eine angenehme Ausflugsentfernung. Eine 34-jährige Westberlinerin hat in jeder Hand drei prall gefüllte Plastiktüten: „Wir kaufen hier alles“, sagt sie. Schnell kommt sie bei einem großen Glas Bier – der halbe Liter kostet nur zwei Mark – auf ihre Einkäufe zu sprechen. Jedes Mal nimmt sie ein Schaffell mit. Mit der Zeit will sie den ganzen Fußboden ihrer Wohnung damit auslegen. Dann schaut sie ihren Ehemann an, einen durchtrainierten Reisebusfahrer mit starrem Blick und Goldkette. „Da kann man prima Sex drauf machen“, sagt sie und findet sich witzig.

Ihr Mann schaut weiter mit unbeweglicher Miene vor sich hin und fängt eine Unterhaltung über die Polen an. „Man müsste Polen mal anders zeigen, so von der Kultur her“, überlegt er. Der Busfahrer in ihm bemüht sich, stellt Vergleiche mit Tirol und Dänemark an, macht Vorschläge. Doch dann wird ihm das alles viel zu schön, und er fasst lieber noch mal zusammen, woran seiner Meinung nach alles scheitert: „Die Polen kaufen Schrott in Deutschland, und dann versuchen die, aus Schrott was zu machen. Schrott bleibt aber Schrott. Dadurch verderben die sich den Charakter.“ Und das kommt dabei heraus: „Wenn du nach Polen fährst, ist dein Auto schon da.“

Auf der Rückfahrt im Zug nach Berlin, der von Warschau über Frankfurt (Oder) fährt, kann man sich dann in einem einzigen Abteil bei drei Mitreisenden ein gutes Bild von der „Verderbnis des Charakters“ der Polen machen. Eine polnische Frau berichtet begeistert von „zwei neuen, sensationellen Faust-Übersetzungen“ die auf den polnischen Markt gekommen sind und guten Absatz finden. Ein deutscher Mann spricht von der ausgezeichneten und engagierten Arbeitshaltung polnischer Angestellter eines neu eröffneten Autozulieferbetriebes. Oder man hört einem jungen Mann zu, der von hübschen, trendigen Mädchen in Warschauer Diskos schwärmt.

Die drei waren in Polen. Nicht in Slubice.

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