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„Der Innensenator lügt“

■  Konsulatsbesetzung: Akten zur Verantwortung Berliner Behörden für Blutbad landeten im Reißwolf. Grüne stellen Strafantrag. PDS fordert Rücktritt von Innensenator Werthebach

Berlin hat eine neue Affäre – sie könnte Innensenator Eckart Werthebach (CDU) sein Amt kosten. Die Innenverwaltung der Hauptstadt steht im dringenden Verdacht, Akten unterdrückt und sogar vernichtet zu haben, die die politische Mitverantwortung Werthebachs am Blutbad vor dem israelischen Generalkonsulat Mitte Februar nahe legen.

Obwohl selbst die Medien schon am Vortag der Schießerei israelische Einrichtungen als gefährdet ansahen, war die Vertretung nur mit drei normalen Wachpolizisten geschützt, als Kurden das Konsulat zu besetzen versuchten, um gegen die Festnahme des PKK-Führers Abdullah Öcalan zu protestieren. Israelische Wachleute erschossen vier Kurden.

Seit Monaten versucht nun ein Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses herauszufinden, wie es zur schlampigen Sicherheitsvorsorge für die Vertretung kommen konnte. Aber die brisantesten Akten, die die Mitschuld der Berliner Behörden belegen, wurden ihm vorenthalten. Mit der Einstufung, dass entsprechende Papiere nichts mit der Arbeit des Landesverfassungsschutzamtes zu tun hätten, wurden stapelweise Akten zurückgehalten.

Schlimmer noch: Auf Anweisung der Innenverwaltung wurden Akten in den Reißwolf gesteckt – und der Vizeamtschef des Verfassungsschutzamtes, Klaus Müller, der sich dagegen wehrte, soll ins politische Sibirien versetzt werden, so der bündnisgrüne Fraktions- und Ausschussvorsitzende Wolfgang Wieland.

Der Skandal begann damit, dass der Chef des Landesverfassungsschutzamtes, Eduard Vermander, am 6. März einen offiziellen Vermerk über ein Gespräch schrieb, das er mit dem Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Peter Frisch, am Vortag des Blutbades geführt hatte. Vermander hielt fest, es sei damals im Gespräch keine Rangfolge der gefährdeten Objekte in der Hauptstadt festgelegt worden. Darauf hatte sich aber Werthebach im Ausschuss immer herausgeredet: Das israelische Generalkonsulat sei so wenig geschützt worden, weil es in einer Prioritätenliste, die angeblich das Bundesamt festgelegt habe, erst ganz hinten erschienen sei.

Der Vermerk Vermanders belegte aber das Gegenteil: Alle Objekte wurden als gleich gefährdet eingestuft, alle hätte auch gleich stark geschützt werden müssen. Nach einem Gespräch mit Mitarbeitern der Innenverwaltung ließ Vermander seinen Vermerk vom 6. März schreddern und schrieb einen neuen. Darin hieß es nun, dass es eine Rangfolge bei der Gefährdung gegeben habe: Werthebach war entlastet.

Doch der Stellvertreter Vermanders, Müller, hatte eine Kopie des alten Vermerks angefertigt und weigerte sich nun, diese zu vernichten. Die Kopie des alten Vermerks wurde dem Ausschuss erst nach massivem Druck von Wieland vorgelegt, sonst hätte man nie davon erfahren: „Das Manöver hatte fast geklappt“, sagt Wieland.

Der Ausschussvorsitzende will nun Strafanzeige gegen Vermander stellen, wegen Gewahrsamsbruch – Höchststrafe: 5 Jahre. Man müsse davon ausgehen, dass die Aktenvernichtung besprochen wurde, betont Wieland. Unklar sei jedoch, was Innensenator Werthebach davon wusste.

Die PDS-Fraktion hat schon reagiert und fordert den Rücktritt des Innensenators. Das CDU-Ausschussmitglied Andreas Gram hält die Vorwürfe dagegen für einen „Wahlkampfklamauk“. Der Innensenator betont, es seien keine Akten unterdrückt worden. Überaus klar hat sich dazu Wieland in einem Radiointerview geäußert: „Der Innensenator lügt.“

Philipp Gessler

Siehe Kommentar Seite 12

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