: Das neue Wunder der Oranienstraße
Weil man die Zukunft der Oranienstraße nicht den „Quartiersmanagern“ überlassen will, haben Anwohner und Gewerbetreibende eine neue Initiative gestartet. Ein Straßenfest am Samstag war der Auftakt ■ Von Songül Çetinkaya
Eigentlich sollte man die Oranienstraße zwischen Heinrichplatz und Oranienplatz jedes Wochenende für Autos sperren. Wer das „Wunder der Oranienstraße“ am Samstag besucht hat, weiß, warum: Bei wunderbarem Wetter kitzelten verschiedenste Gerüche von Köstlichkeiten aus aller Welt im Vorbeigehen die Nase, Trommelklänge motivierten zum Tanz, und Kinder konnten sich ungestört zwischen Malstraße und Luftburg zum Spielen verabreden.
Das Straßenfest, an dem gut ein Drittel der ansässigen Gewerbetreibenden beteiligt waren, war die Auftaktveranstaltung zum so genannten Quartiersmanagement von unten. Alle Anwohner und Gewerbetreibenden rund um die Oranienstraße helfen mit, „den Kiez so attraktiv zu machen, dass die Lebensqualität merklich ansteigt und eine Stabilisierung der Bewohnerschaft stattfindet“, sagt Silke Fischer, eine der Initiatorinnen vom „Wunder der Oranienstraße“.
„Das Wunder der Oranienstraße“ ist eine Gruppe von KreuzbergerInnen, die die Zukunft des Kiezes nicht der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung überlassen möchte, sondern die Probleme zwischen Kottbusser Tor und Mariannenplatz, Görlitzer Bahnhof und Moritzplatz selbst in die Hand nimmt. Dabei handelt es sich um eine kulturell gemischte Gruppe, die seit Anfang Mai an gemeinsamen Zielen arbeitet. Die Imagearbeit steht zunächst einmal an erster Stelle. Der Kiez soll attraktiver, freundlicher und einladender werden. Dazu wollen die „ManagerInnen“ die Kontakte zwischen Gewerbetreibenden, Bewohnern, Vereinen und Initiativen fördern, die extrem hohe Arbeitslosigkeit in den Griff bekommen und einen Ausbildungsverbund gründen. „Um die Oranienstraße befinden sich mehr als 150 Vereine“, erzählt Claudia Krams, Mitwirkende beim „Wunder der Oranienstraße“ und Mitarbeiterin im SO 36. „Es war wichtig, diese einmal aus den Hinterhöfen herauszuholen und zu zeigen, was hier an gewachsenen Strukturen schon vorhanden ist.“ Krams hält es für wichtig, eine kollektive Verantwortung zu fördern, um dem Klischee entgegenzutreten. „Die Situation in Kreuzberg wird von Politikern benutzt, um besonders vor dem Wahlkampf Fronten zu schaffen“, sagt sie. „Kreuzberg soll kriminell, dreckig und voller sozialer Brennpunkte sein. Keiner der hier Lebenden merkt davon etwas.“
Das „Wunder der Oranienstraße“ will stattdessen Anwohner und Gewerbetreibende motivieren, Eigenverantwortung zu übernehmen und aktiv daran mitzuarbeiten, den Kiez von negativen Fremdzuschreibungen zu befreien und ein positives Selbstverständnis für den Multikulti-Kiez zu entwickeln. Bei einem Bevölkerungsanteil unterschiedlichster Nationalitäten von über 45 Prozent könne es keine positive Stadtgestaltung ohne die aktive Teilnahme und Chancengleichheit aller geben, meint Krams.
„Die Junge Union ist zwar der Meinung, dass Deutschland in Kreuzberg nicht erkennbar ist, aber die Junge Union scheint nicht in dieser kleinen Weltmetropole zu leben, in der jetzt schon erkennbar ist, wie die Welt von morgen hier mitten in Europa aussieht“, sagt auch Silke Fischer. „Bei unseren Veranstaltungen arbeiten Türken, Griechen und Kurden zusammen“, fügt Claudia Krams hinzu. „Ich möchte bezweifeln, dass das an anderen Orten gang und gäbe ist“.
„Das Wunder der Oranienstraße“ hat mit dem Straßenfest am vergangenen Samstag seinen offiziellen Auftakt gehabt. Weil aber die Vorbereitungen für das „Quartiersmanagement von unten“ bereits seit Mai dieses Jahres laufen, habe sich bereits jetzt die Atmosphäre im Kiez merklich verbessert, sagt Richard Stein, ebenfalls ein Initiator vom „Wunder der Oranienstraße“ und Mitarbeiter im SO 36. „Durch unsere wöchentlichen Treffen, zu denen sowohl Anwohner als auch Gewerbetreibende eingeladen wurden, kennt nun jeder jeden“, stellt er fest. Das Konkurrenzverhalten zwischen den Geschäften habe merklich nachgelassen und die Atmosphäre im Kiez sei deutlich familiärer und freundlicher geworden.
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