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Absage an Rude Boys

Mr. Offbeat-Man: Alton Ellis hat den zackigen Blechbläser-Ska in rastataugliche Reggaesounds verwandelt  ■   Von Thomas Winkler

Wenn man Alton Neamiah Ellis fragt, ob er sich nicht manchmal wundert, dass er noch am Leben ist, dann lächelt er, so wie nur alte Männer lächeln können. Nicht abwehrend, als sei die Frage völlig unsinnig, sondern selbst ein wenig verwundert. „Ich bin nicht überrascht“, sagt Ellis, „ich bin glücklich. Es liegt nicht in meiner Macht, es ist ein Geschenk Gottes.“ 60 Jahre ist Ellis gerade alt geworden, vielleicht auch erst 59, da streiten die Biografen. Er selbst sieht noch 20 Jahre älter aus und trägt auch nichts zur Klärung bei. Es ist durchaus eine Leistung, mehr als 30 Jahre Musikbusiness überlebt zu haben. Vor allem wenn ein beträchtlicher Teil davon auf Jamaika stattgefunden hat, was Peter Tosh, Jacob Killer Miller von Inner Circle und unzählige andere, weniger Berühmte das Leben kostete.

Ellis aber weilt noch unter uns. Gerade hat er sämtliche verfügbaren nicht rechtsradikalen Skinheads von Berlin und Brandenburg ein wenig vor den Kopf gestoßen. Anstatt ihnen als Headliner des sommerlichen Ska-Festivals einen angemessen fröhlich zuckenden Abschluss zu bieten, hat er sie gemütlich im Offbeat schunkelnd in die Nacht entlassen. Ellis war zwar ein Zeitgenosse der Helden des Ska aus den 60ern, wurde dann aber einer der Hauptverantwortlichen für die Weiterentwicklung zum Reggae: Gemeinhin gilt Ellis als Erfinder des Rocksteady, jener Übergangsform zwischen den beiden Stilen, bei der der Rhythmus immer mehr verlangsamt und verzögert wurde.

Genau diese Entwicklung ist nachzuvollziehen auf „Arise Black Man 1968 – 1978“, der gerade erschienenen und wahrscheinlich am liebevollsten zusammengestellten Compilation mit Songs von Alton Ellis. Wer nicht eine Menge Zeit und noch mehr Geld hat, um sich auf die Suche nach superraren Originalsingles zu machen, war bisher fast ausschließlich auf willkürlich zusammengestellte, meist nur auf eine schnelle Mark schielende Billig-Compilations angewiesen, um eine der schönsten Stimmen Jamaikas zu entdecken.

In der Langsamkeit mehr Soul entdecken

Diese Stimme, geprägt vom amerikanischen Rhythm & Blues, der in den 60ern von den fahrenden Sound Systems aus über die jamaikanische Insel geblasen wurde, diese Stimme war schlussendlich der Hauptgrund, dass Ska zu Rocksteady wurde. Verantwortlich war nicht etwa, wie man denken sollte, das heilige Kraut. „Wir haben zwar jeden Tag Weed geraucht, natürlich auch im Studio“, erzählt er, „auch um den Vibe zu intensivieren.“ Aber die Verlangsamung war „eine natürliche Entwicklung, eine Transformation, die einfach passieren musste“. Weil der Ska mit seinem engen Rhythmusgerüst und den alles beherrschenden Bläsersätzen keinen Raum für den Soul des Rhythm & Blues ließ, aus dem er ursprünglich selbst entstanden war. Nun hatte „der Bassist mehr Zeit, um den Rhythmus herum zu spielen und ich konnte freier singen, mehr phrasieren, einfach seelenvoller singen“. Seine Leistung, sagt Ellis, bestehe bestenfalls darin, diese Entwicklung „früh erkannt und vorangetrieben zu haben“.

Exakt diesen schleichenden Übergang fängt „Arise Black Man“ ein. „Sh-Boom“ ist fast noch Doo Wop, die Bläser sind aber schon flotter Ska. „Rasta Spirit“ mit leicht schlierigem Gitarrenriff und seiner Rasta-Propaganda oder „Rhodesia“ mit Offbeat, einer flächigen Hammond-Orgel und der Heim-nach-Afrika-Message, das sind Stücke, die auch der frühe Bob Marley hätte spielen können. „Blackish White“ experimentiert gar mit afrikanischen Sounds.

Ellis selbst ist jenseits aller historischen Aufarbeitung vor allem „sehr zufrieden mit der CD“. Das sagt er fast ein wenig demütig, als wundere er sich über die Aufmerksamkeit des Jungvolks: „Neun Monate wurde daran gearbeitet, endlich hatte mal jemand Geduld.“ Er vermisst nur „Dance Crusher“, seinen ersten großen Hit auf Jamaika, eine Absage an die Brutalität der Rude Boys. Trotzdem sind es Liebeslieder wie „(If Loving You Is Wrong) I Don't Want To Be Right“ oder seine Version von „It's Your Thing“ der Isley Brothers, die auf der Platte unterrepräsentiert sind und bei denen Ellis' Soulstimme am besten zur Geltung kommt. Vor allem wird die Platte, entsprechend der Zeit, aus der die Stücke stammen, von den Songs geprägt, die Rastafari-Religion, schwarzes Selbstbewusstsein und die Heim-nach-Afrika-Ideologie thematisieren.

Ein Rasta ist Ellis lange schon nicht mehr, die Zeiten des Bibelstudiums und der mit Marley (dem Ellis diese Platte gewidmet hat) und anderen durchdiskutierten Nächte sind vorbei. Seit er Anfang der 70er vor den Machenschaften der berüchtigten jamaikanischen Produzenten ins Ausland flüchtete, hat er so gut wie nichts Neues mehr aufgenommen, stattdessen verdiente er in den letzten Jahrzehnten seinen Lebensunterhalt fast ausschließlich mit Auftritten.

Von seinen alten Hits leben derweil andere. Ellis mag als einer von nur einem halben Dutzend Musikern den Order of Distinction, den höchsten jamaikanischen Orden für Zivilisten verliehen bekommen haben – Tantiemen von seinen Songs, so sagt er, hat er noch nie gesehen. In Jamaika war es damals üblich, dass die Sound-System-Besitzer und Produzenten den Interpreten und Komponisten sämtliche Rechte mit einem einmaligen und erbärmlichen Aufnahmehonorar abkauften. Ellis arbeitete für den legendären Duke Reid, vor allem aber für den nicht weniger legendären Clement „Sir Coxson“ Dodd und dessen Studio-One-Label. „Ich war der erfolgreichste Künstler für Studio One. Ich war ein sehr talentierter junger Mann, der einen Hit nach dem anderen veröffentlichte, aber ich wohnte immer noch in demselben schäbigen Zimmer in Trenchtown“, erinnert sich Ellis, „also verließ ich das Land, um von der Musik leben zu können.“

So wurde Ellis zum modernen Nomaden, lebte drei Jahre in Italien und zwei in Japan oder blieb wegen Visumproblemen einmal fast zwei Jahre in München hängen. Inzwischen besitzt er einen englischen, einen kanadischen und einen jamaikanischen Pass und lebt in London. In Japan betreibt er ein kleines Label, das ausschließlich Platten seines Besitzers veröffentlicht, weil der sich dort sicher glaubt vor Dodds Einfluss. Trotzdem: Wenn Ellis über die alten Zeiten redet, lächelt aus ihm jederzeit die Weisheit, die einen wohl ereilt im abschließenden Drittel eines erfüllten Lebens. Längst ist er Großvater und stolz darauf, aber die Frage nach der Anzahl seiner Kinder beantwortet er mit „eine ganze Menge“ – man kann davon ausgehen, dass er es selbst nicht so genau weiß. „Ich bin im Ghetto aufgewachsen. Ich hätte leicht auf die schiefe Bahn geraten können. Ich hätte Menschen umbringen können“, sagt er, „stattdessen habe ich den Menschen Freude gemacht mit meiner Musik.“ Alton Ellis: „Arise Black Man 1968 – 1978“. (Moll-Selekta/EFA)

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