Nationalistisch zur Gleichberechtigung?

■ Albert Scharenbergs umfassende Studie zum schwarzen Nationalismus erklärt, warum wieder viel von Malcolm X und nur noch wenig von Martin Luther King die Rede ist

Malcolm X war der Böse. Erschrocken (und dankbar) stilisierte ihn in den 60ern die weiße Öffentlichkeit zum finsteren Gegenpart Martin Luther Kings.

Inzwischen sind mehr als dreißig Jahre vergangen. Von King und der auf Integration hoffenden schwarzen Bürgerrechtsbewegung spricht jenseits der jährlichen Gedenkreden zum King-Feiertag kaum noch jemand. Der „schwarze Nationalist“ Malcolm X hingegen erfährt, spätestens seit Spike Lees Film, einen immensen Zuwachs an Beachtung.

Warum? Dies ist die Ausgangsfrage in Albert Scharenbergs Buch. Ausgehend von einer theoretischen Begriffsbestimmung des „schwarzen Nationalismus“ als eines spezifischen „Befreiungsnationalismus“ verknüpft Scharenberg auf originelle Weise den Lebenslauf von Malcolm X mit der zeitgeschichtlichen Entwicklung der „Rassenbeziehungen“. So entsteht ein facettenreiches Bild „schwarzen“ Lebens in den USA von den 20ern bis in 60er.

Malcolm X wuchs in Armut auf, durchlief eine kriminelle Karriere und landete im Knast. Nach einer Art „intellektuellem Erwachen“ wurde er zum bekanntesten Prediger der afroamerikanischen „Nation of Islam“ (NOI) mit ihrer radikalen Ideologie von den „weißen Teufeln“. Später entwickelte er eine neue, eher sozialistische, antikolonialistische Sichtweise und verließ die NOI. Mit 39 wurde er ermordet. Allein die Lebensgeschichte macht die enormen Projektionsmöglichkeiten deutlich, die der im Sinne Gramscis geradezu klassische „organische Intellektuelle der Unterklassen“ den rassistisch Ausgegrenzten bietet. Doch Scharenberg geht bei seinem Versuch, die nachhaltige Wirkung von Malcolm X zu erklären, über eine rein ideologietheoretische Begründung hinaus. Chronologisch an die Biografie anknüpfend, untersucht er beispielhaft die Entwicklung Chicagos in den letzten 30 Jahren. Das Ergebnis ist ernüchternd. Die Hoffnungen der Bürgerrechtsbewegung sind enttäuscht worden. Besonders hinsichtlich der materiellen Verhältnisse scheint sich die rassistische Spaltung der Gesellschaft eher noch vertieft zu haben.

Das Aufblühen des schwarzen Nationalismus wurzelt in diesem Scheitern. Dabei ist es eine Stärke des Buches, ständig die Ambivalenz dieses schwarzen Nationalismus im Blick zu behalten. Es wird deutlich, dass mit der ideologischen Konstruktion einer einheitlichen „schwarzen Nation“ auch rigide Herrschaft nach innen einher geht, wo Individualinteressen sich denen der Gemeinschaft unterzuordnen haben. Zudem droht die Gefahr, nur noch die rassistische Unterdrückung, nicht aber Ungerechtigkeit in den eigenen Reihen zu erkennen. Doch andererseits bedarf es dieser ideologischen Konstruktion offenbar, um sich überhaupt als politisches Subjekt herauszubilden.

Der Bedeutung solcher schwarz-nationalistischen Positionen und der Rolle von Malcolm X spürt Scharenberg auf verschiedensten Feldern nach. Sein Überblick reicht von Black Panthers und Black Liberation Army bis zu „Afrocentricity“ und „Black Studies Departments“ an den Universitäten; er betrachtet die Standpunkte schwarzer Feministinnen und die Repräsentationen von Malcolm X in Filmen und in der HipHop-Kultur. Scharenbergs Buch ist dabei nicht nur für USA-Interessierte lohnend. Denn im Spannungsfeld zwischen Integration und Selbstbestimmung bewegen sich Minderheiten auch hierzulande. Diese Debatte wird gewiss erheblich zunehmen.

Ernst-Uwe Voshage
‚/B‘ Albert Scharenberg: „Schwarzer Nationalismus in den USA. Das Malcolm X-Revival“. Westfälisches Dampfboot, Münster 1998, 604 S., 78 DM