Letztes Kapitel im Fall Vulkan

Drei Jahre nach dem Konkurs des Werftenverbundes stehen die Konzernmanager endlich vor Gericht. Der Vorwurf: Untreue. Höchststrafe: Zehn Jahre  ■   Aus Bremen Klaus Wolschner

Visionen und Millionen, sozialdemokratischen Filz und kampfbereite Werftarbeiter, ostdeutsche Schicksale und westdeutsche Arroganz – was hatte der Niedergang des Bremer Vulkan Verbundes bis zum Konkurs im Februar 1996 nicht alles zu bieten. Heute beginnt in Bremen das wohl letzte Kapitel, das juristische Nachspiel für diese größte Firmenpleite der deutschen Nachkriegsgeschichte. Vier ehemalige Top-Manager des Konzerns müssen sich vor dem Bremer Landgericht verantworten. Die Angeklagten, darunter der ehemalige Vorstandsvorsitzende Friedrich Hennemann, sollen Subventionen für zwei zum Verbund gehörende Ost-Werften in Höhe von rund 850 Millionen Mark zweckentfremdet und damit veruntreut haben.

Der Prozess ist zunächst auf 30 Verhandlungstage bis ins kommende Jahr terminiert. Bei einem Schuldspruch drohen den Angeklagten bis zu zehn Jahre Haft.

Mit dem Niedergang des Bremer Vulkan Verbundes, der bis zum Konkurs noch 23.000 Leute beschäftigte, haben sich bereits parlamentarische Untersuchungsausschüsse in Bonn, Bremen und Schwerin befasst. Ihre Berichte zeigen detailliert, wie das Prinzip Vulkan funktionierte: Subventionsmentalität bei den Verantwortlichen, Missmanagement und eine mangelhafte Kontrolle.

Nicht zufällig hatte in der vorletzten großen Werftenkrise im Jahr 1987 ausgerechnet der in der Hansestadt für die Wirtschaftspolitik zuständige Staatsrat Hennemann die Leitung des damals noch überschaubaren Bremer Unternehmens übernommen. Mit der vollen Rückendeckung der sozialdemokratischen Landesregierung begann er eine – ziemlich wahllose – weitläufige Expansionspolitik und kaufte in der gesamten Republik diverse Firmen ein, die andere abstoßen wollten. Seine Vision: ein Technologiekonzern nach dem Vorbild Daimler-Benz, nur „maritim“ ausgerichtet.

Als die Treuhand 1991/92 händeringend „Retter“ für die ehemaligen DDR-Werften suchte, hob er die Hand gleich für das ganze Paket und erhielt auch prompt den Zuschlag für die MTW-Werft in Wismar, die Volkswerft Stralsund und das Dieselmotorenwerk Rostock. Mit dieser Übernahme flossen hunderte Millionen Mark an staatlicher Aufbauhilfe für diese Unternehmen in die Konzernkassen des Vulkan Verbundes.

„Das Unternehmen war von Anfang an substanzkrank“, bescheinigte der Bremer Untersuchungsausschuss in seinem Abschlussbericht im vergangenen Jahr. Nur: Es war auch ein politisch gewolltes Projekt, an dem allein in Bremen und Bremerhaven tausende Arbeitsplätze hingen, und das vom Land jahrelang gefördert worden war. Und nicht nur das: „Der Bremer Senat war zeitweise faktisch Eigentümer“, sagte der ehemalige Präsident des Senats, Klaus Wedemeier (SPD), vor dem Ausschuss aus.

Als das Treuhandgeld aufgebraucht war, wollte Konzernchef Hennemann wieder an die politischen Fäden in Bremen anknüpfen. Da regierte nun aber die CDU mit. Und die, so Hennemann im Nachhinein, habe kein besonderes Interesse an den Werftarbeitsplätzen gehabt. Vor allem aber war der Vulkan-Konzern längst in eine Dimension hineingewachsen, die die Möglichkeiten des kleinen Bundeslandes bei weitem überstieg.

Trotzdem saßen die Vertreter des Bremer Senats ab Oktober 1995 wieder bei den Krisensitzungen dabei und protokollierten fleißig mit, als Wirtschaftsprüfer und Bankenvertreter feststellten, dass die Krise des Vulkan-Konzerns schnell eine Milliarde Mark verschlingen könnte. In einem dieser Protokolle, das auf den 5. Oktober datiert ist, steht sogar, die letzte Rate der Treuhand, mehr als 194 Millionen Mark, könne für „kurzfristige Finanzierungsbedarfe“ der Liquiditätsunterdeckung im Westen „vereinnahmt“ werden. Begründung: Der Konzern habe „dies auch in der Vergangenheit bedenkenlos getan“. Zehn Tage wurde der gesamte Betrag ausgezahlt.

Wenn der Vorwurf der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Konzernvorstand damit begründet werde, erklärte kürzlich der Vorsitzende des Bremer Untersuchungsausschusses, der Grüne Hermann Kuhn, dann „trägt der Bremer Senat eine Mitverantwortung an der Untreue“.

Im Oktober 1995 gab es noch eine bremische sozialdemokratisch-gewerkschaftliche Mehrheit im Aufsichtsrat des Vulkan, aber die konnte dem Konzern nicht mehr helfen. Die Minderheit im Aufsichtsrat – und hier insbesondere die Vertreter der Banken – hatte ihre Kredite immer nur gegen gute Bremer Staatsbürgschaften gegeben und ließ sich zum Schluss die wertvolleren Teile des Vulkan-Imperiums verpfänden.

Sie dürften also ohne größere Verluste aus der Vulkan-Pleite herausgekommen sein. Hennemann gehört bisher sogar zu den Gewinnern – sieht man von den geplatzten Visionen ab. Er bekam seinen Rausschmiss im Herbst 1995 von den Banken mit einer Abfindung in Höhe von 2,4 Millionen Mark versüßt.