piwik no script img

Zum ohnmächtigen Abwarten verdammt

■ Osttimors Widerstandsbewegung steht dem indonesischen Terror hilflos gegenüber

Jakarta (taz) – Sein Porträt wurde zum Symbol der Hoffnung. Es hing in Hütten, prangte auf T-Shirts und Fahnen. Für die meisten Osttimoresen stand außer Zweifel, wer künftig Präsident des unabhängigen Osttimor werden würde: Der 53jährige ehemalige Guerillaführer José Alexandre „Xanana“ Gusmao, der am Dienstag aus dem Hausarrest entlassen wurde. Doch statt, wie er in den Jahren der Haft erträumt hatte, sofort in seine Heimat zurückzukehren und mit dem Aufbau des neuen Staates zu beginnen, musste er in Djakarta in die britische Botschaft flüchten.

Friedensnobelpreisträger Bischof Carlos Belo, im Ausland Osttimors bekanntester Sprecher, floh am gleichen Tag nach Australien. Belos Ko-Preisträger, José Ramos-Horta, appelliert verzweifelt an die UNO, die Tragödie von seinem Land abzuwenden.

Schafft es die indonesische Armee doch noch, Osttimors Widerstand zu zerstören? Die wichtigste Aufgabe sei es nun, die für die Unabhängigkeit kämpfende Falintil-Guerilla in den Bergen Osttimors davon zu überzeugen, dass sie stillhalten muss, sagt ein osttimoresischer Universitätsdozent und Berater Gusmaos. Trotz des Terrors der Milizen dürfe sie sich nicht provozieren lassen, die Waffen wieder aufzunehmen – um der Armee keinen Vorwand zu geben, einen „Bürgerkrieg“ zu inszenieren. Doch das, gibt er zu, „wird sehr, sehr schwierig“. Schon hat Guerillachef Taur Mataruak gewarnt, dass er nicht zusehen werde, wie die Milizen und ihre Hintermänner im Militär morden, brennen, plündern und vertreiben.

Vor seiner Gefangennahme 1992 war Gusmao selbst 15 Jahre lang Guerillachef. In seiner Zeit begann die Organisation, auch friedlichen und zivilen Widerstand zu organisieren. Er versuchte zugleich die zerstrittene Unabhängigkeitsbewegung zu einen. Gusmao und Ramos-Horta gehören zu der Generation, die als Studenten in den 70er Jahren zuerst gegen die portugiesische Kolonialmacht kämpften, 1975 Osttimors Unabhängigkeit erklärten und schließlich vor den indonesischen Truppen fliehen mussten.

Der Mitte der 90er-Jahre entstandene „Nationale osttimoresische Widerstandsrat“ ist eine Koalition aus Guerillakämpfern, Exilpolitikern, Priestern, Geschäftsleuten und Mitgliedern ehemals verfeinderter Parteien. Die bis vor kurzem verbotene Organisation ist bis in die Dörfer vertreten. Das Verdienst Gusmaos war es, diese unterschiedlichen Leute zusammenzubringen. Nach 400 Jahren portugiesischer Kolonialzeit und 24 Jahren indonesischer Militärherrschaft ein unabhängiges Osttimor zu schaffen wäre auch unter besten Voraussetzungen schwierig geworden: mit nur einer hauchdünnen Schicht osttimoresischer Fachleute. 80 Prozent aller Sekundarschullehrer stammten zuletzt aus Indonesien – die meisten sind inzwischen geflüchtet.

Nun sind die meisten Mitglieder des Widerstandsrats untergetaucht. „Wir wissen nicht, wie viele schon ermordet sind“, sagt der Dozent. Flüchtlinge berichten, dass in ihren Orten Milizen von Haus zu Haus gingen, in der Hand Listen mit Namen von Mitgliedern des „Widerstandsrats“, die Militärs und Bürgermeister in den Wochen vor dem Referendum zusammengestellt hätten.

„Ich habe gerade erst begonnen, frei zu atmen“, sagte Gusmao leise, als er aus dem Hausarrest entlassen wurde. „Ich weiß nicht, wo meine Freunde sind und wohin ich gehen werde.“ Jutta Lietsch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen