piwik no script img

Entwicklungsland Deutschland

■ Vieles kann gegen Brustkrebs getan werden / Screening ist gut, aber nicht alles. Eine Expertin berichtet aus den USA und über die dortige Vorsorge

In vielen Ländern der Welt ist die Brustkrebsvorsorge deutlich erfolgreicher als in Deutschland. Aber nicht nur die Vorsorge, auch die Behandlung und die Nachsorge sind vielfach weiter. So werden Brustkrebspatientinnen in den USA mittlerweile offensiv über durchaus auch negative Folgen von brustaufbauenden Maßnahmen aufgeklärt, wie sie in Deutschland zu Regelleistungen der Krankenkassen nach einer Brustoperation oder –amputation gehören. Auch deutsche Selbsthilfeorganisationen und Implantatträgerinnen warnen nicht mehr nur vor Gesundheitsschäden durch mittlerweile modernisierte Silikonimplantate. Sie halten vielfach auch den Brustaufbau aus körpereigenem Material für einen belastenden Eingriff, der mit einem neuen Körperverständnis überflüssig würde. Über Brustkrebs-Vorsorge, den Sinn von Implantaten und die Notwendigkeit, über ein neues Frauenbild nachzudenken, sprach die tazmit der Neurologin Britta Ostermeyer. Die gebürtige deutsche Medizinerin gilt als Expertin für „untypische Erkrankun-gen“ wie sie nach Brustimplantaten oft auftreten. Sie lehrt und forscht heute an der US-amerikani-schen Columbia-University, nachdem sie zuvor acht Jahre lang am Baylor-College forschte, wo Dr. Frank Gerow die Erfindung von Brustimplantaten aus Silikon zugeschrieben wird, die 1962 erstmals eingesetzt wurden. Seit 1985 wurden dort auch erstmals Erkrankungen beobachtet, die Nervensystem und das Bindegewebe von Implantaträgerinnen angreifen.

taz: Deutschland gilt in Sachen Brustkrebs-Früherkennung immer noch als Entwicklungsland. Implantate zur Wiederherstellung der Brust gehören nach wie vor zum Usus. In Bremen soll es im kommenden Jahr ein Screening-Programm zur Brustkrebs-Prävention geben. Dafür sollen Frauen zwischen 50 und 70 Jahren vorbeugend reihenuntersucht werden. Was halten Sie von solchen Programmen?

Die sind sehr gut. Mit der Mammografie hat man eine Chance, Krebse sehr früh zu erfassen und wenn das sehr früh gelingt, kann man der Patientin auch gute Therapien anbieten. Manche kann man heilen.

In Bremen werden Frauen erst ab dem Alter von 50 Jahren gescreent. Die Begründung ist, dass Frauen, die jung an Brustkrebs erkranken, eine relativ geringe Heilungschance haben. Außerdem sei die Brust für die Durchleuchtung noch zu fest und kleine Tumoren deshalb im dichten Gewebe schwer zu erkennen. Wie werten Sie das?

Das Argument habe ich noch nie gehört. Ich würde ja jetzt argumentieren, wenn Frauen ein großes Risiko tragen schon früh zu erkranken, dann müsste man bei ihnen früher anfangen. Das Motto bei Krebs ist ja, je früher wir das erkennen, um so mehr können wir der Patientin anbieten. Wenn junge Patientinnen keine gute Chance haben – und man nimmt sie nicht ins Programm auf –, muss ich mich fragen, ob hier die Kostengründe den Ausschlag geben.

In den USA sieht das so aus, dass eine Risikopatientin, d.h. eine Frau, die eine Schwester oder Mutter hat, die bereits vor der Menopause Brustkrebs bekommen haben, als Risikopatientin gilt. Diese Patientinnen werden in den USA mit 35 Jahren zum ersten Mal mammografiert. Dann sollen sie sich ab 40 regelmäßig, ab 50 Jahren jedes Jahr vorstellen.

In Deutschland wird immer wieder beklagt, dass viele Frauen sich nicht an der Vorsorge für Brustkrebs, die ja in der Tastuntersuchung durch die Gynäkologin besteht, beteiligen. Was muss da eigentlich geschehen?

Ganz einfach. Mehr Öffentlichkeitsarbeit. lch kann Ihnen ein Beispiel von einem Familientreffen letzte Woche nennen. Da wisperte eine betagte Tante neben mir ganz geheimnisvoll, „du weisst doch, gestern konnte ich nicht kommen, weil ich zum Frauenarzt musste ...“ Als ich normal laut sagte, das ist aber gut, dass du das machst, hieß es: „Ja, aber sag' mal den anderen nichts, die brauchen das ja nicht wissen.“ Die deutschen Frauen genieren und schämen sich da vielfach. Was man braucht, ist Öffentlichkeitsarbeit im Fernsehen, so wie man das mit AIDS auch macht. Und eine Hotline bräuchte man. Und Spots, wo zwei Frauen sich unterhalten und sich gegenseitig untersuchen. In den USA passiert das nämlich, da heißt der Body-Check. Man soll einen Partner finden und sich regelmäßig gegenseitig untersuchen, beraten und sich an die jährliche Vorsorgeuntersuchung und Mammografie erinnern.

Implantatträgerinnen – unter denen ja viele Krebserkrankte sind – fürchten, dass sie beim geplanten Screening-Programm durchs Raster fallen. Argument: Bei ihnen kann man per Mammografie durch das Implantat hindurch wenig erkennen.

Richtig. Ich würde sagen, generell sind Brustimplantate ein ganz großes Problem für die Früherkennung durch radiologische oder andere Untersuchungen, da das Implantat den größten Teil der Brust verdeckt. Generell kann da mit Mammografie nichts erkannt werden. Solche Patientinnen haben ihre Chance auf eine Früherkennung wirklich vergeben. Meistens sind das aber PatientInnen, wo eigentlich kein Drüsengewebe mehr vorliegen sollte. Sie haben deshalb so gut wie kein Brustkrebs-Risiko. Wenn man aber davon ausgeht, dass bei Patientinnen nur ein Quadrant weggenommen wurde und dann ein Implantat gesetzt wurde, dann ist das sehr bedenklich, ich würde davon abraten. Die Wahrscheinlichkeit, an Brustkrebs wieder zu erkranken, ist höher, als überhaupt daran zu erkranken, ebenso die Chance, dass die zweite Brust erkrankt, wenn eine Brust bereits Krebs hatte. Insofern sind das enorm hohe Risiko-Patientinnen, denen man kein Implantat anbieten sollte. Man vergibt sich dabei die Chance auf Früherkennung.

Ist Mammografie ausreichend, um bei implantierten Frauen vorzusorgen?

Nein, Mamografie ist nicht ausreichend. Man könnte noch die NMR oder den Ultraschall hinzuziehen. Man muß aber generell sagen, daß bis zum heutigen Tage die Mammografie als beste Screening-Methode gilt. Es geht wieder zurück auf die Grundfrage: Warum Brustimplantate?

Deutsche Frauen berichten, dass ihnen nach der Krebs-OP beispielsweise auch in der St. Jürgens-Klinik Brustimplantate immer noch empfohlen werden. Sie leben und arbeiten in den USA. Entspricht das der dortigen Arbeitsweise?

Vor 15 Jahren war das in den USA ähnlich. Da wurde den Frauen gesagt, wir müssen Ihnen die Brust abnehmen, aber machen Sie sich keine Sorgen, wenn Sie aufwachen, haben Sie eine neue. Hinterher, wenn diese neue Brust dann Probleme brachte, wie Rupturen, Entzündungen, Kapselfibrose oder auch systemische Erkrankungen. Die zeichnen sich durch eine Liste von Symptomen aus – wie auch andere Krankheiten. Wenn man sich Symptome und Untersuchungen von Silikon-PatientInnen beispielsweise anschaut, sind die anders als die herkömmlich rheumatlogischen oder neurologischen Erkrankungen, die bekannt sind. Aber wenn man die Patientinnen untereinander vergleicht, sind sie sehr ähnlich. Wenn man sich zwei angehört hat, hört man quasi immer wieder dieselben Klagen. Das habe ich nicht einmal gehört, das habe ich sehr oft von Patientinnengruppen, Anwälten und Reportern gehört. Heute bemüht man sich, falls die Patientin geeignet sein sollte – nach Möglichkeit hat sie nicht geraucht, hat genügend Fett und einen guten, erfahrenen Chirurgen –, den Brustaufbau mit körpereigenem Material zu erreichen. Das ist ganz klar der bevorzugte Weg.

Es gibt Frauen, die ein neues Frauenbild fordern und sagen, Frauen müßten lernen, sich auch ohne künstliche Brust zu akzeptieren. Wie sehen Sie das?

In den USA geschieht das zur Zeit auch. In Werbespots wird gesagt: Die Brust ist nur ein Teil von mir. Ohne Brust geht nicht die Persönlichkeit verloren. Ich bin genauso liebenswert wie vorher. Seither haben sich deutlich weniger Frauen für einen Wiederaufbau der Brust entschieden. Zunehmend entscheiden Frauen sich auch für externe Prothesen, die beispielsweise in den BH einzulegen sind. Auch dafür haben viele Frauen mit Brustkrebs offensiv geworben.

Wer steht hinter den Werbeaktionen?

Meistens Frauenorganisationen, manchmal auch private Fernsehsender und Krebsgesellschaften.

Nicht das Gesundheitsministerium?

Nein.

Fragen: Eva Rhode

siehe Seite 23

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen