: Zwischen Frust und Hoffnung
Leute, die in Berufen arbeiten, für die sie viel zu gut qualifiziert sind, gibt es eine Menge. Oft sind es Akademiker, vom Geisteswissenschaftler bis zum studierten Umwelttechniker. Drei Beispiele ■ Von Kirsten Niemann
Edita Noth
„Kommen Sie in zwei Jahren noch einmal wieder, mit Berufserfahrung.“ Diese Antwort musste sich die gelernte Buchhändlerin Edita Noth nach ihrer Lehrzeit andauernd anhören. Aus Frust stürzte sie sich daraufhin in ein Germanistik-Niederlandistik-Studium, das sie, wie sie sagt, „nicht gerade hektisch, aber durchaus straight“ durchzog, inklusive eines einjährigen Auslandsaufenthaltes in den Niederlanden. Etwa anderthalb Jahre nach ihrem Magister-Examen entschloss sie sich – mittlerweile Mutter von zwei Kindern – zu einer Weiterbildung zur Vertriebs- und Marketing-Assistentin für arbeitslose Akademiker beim Klett-Verlag. Einen festen Job bekam sie durch ihre Zusatzqualifikation trotzdem nicht. Stattdessen eine Mutterschaftsvertretung in einer Versandbuchhandlung und anderthalb Jahre Arbeitslosigkeit.
Seit einem Jahr verdient Edita Noth ihre Brötchen in einer festen Stelle als Redaktionsassistentin bei einem Berliner Stadtmagazin. Eine Arbeit, für die sie nicht einmal hätte studieren müssen. „Ich arbeite gerne hier – dennoch wäre ich am liebsten Übersetzerin geworden“, sagt die 39-Jährige. „Immerhin: Wenn du jemandem sagst, du arbeitest als Redaktionsassistentin, dann klingt das, als wäre das was ganz Tolles.“ Doch die Kohle stimmt noch nicht: Alle zwei Wochen zieht sie des Abends durch die Kneipen und verdient sich ein paar Mark nebenher als Handverkäuferin.
Wolfgang Steinberg
„Taxifahrer ist heute ein Beruf mit hoch qualifiziertem Personal“, sagt Wolfgang Steinberg. Er ist ein gutes Beispiel für diese These. Bereits während seiner zehn Semester Mathematik „als Karteileiche“, verdiente er seinen Lebensunterhalt als Taxikutscher in Berlin. Später hat er Mathematik an der freien „Schule für Erwachsenenbildung“ (SfE) unterrichtet. Dort brauchte man als Lehrer damals noch kein Examen. Erst mit 31 Jahren fing er an, seine Karriere zu planen. Steinberg studierte Umwelttechnik an der Technischen Universität Berlin. Danach gab er bei der Dekra Kurse für Facharbeiter: „Damals konnte man sich mit solchen Kursen noch qualifizieren, heute sind sie doch nur noch zum Fälschen der Arbeitslosenstatistiken da.“ Nach drei Jahren kündigte Steinberg den Job, um mit drei ehemaligen Kommilitonen eine Agentur für Umweltfragen aufzuziehen. Nach drei weiteren Jahren kam das ökonomische Aus.
Also: Zurück zur Dekra: Diesmal leitete er Projektmaßnahmen für Langzeitarbeitslose. „Es war deprimierend. Außerdem wurde mein Gehalt sechs Jahre lang nicht erhöht und ich verdiente als Diplomingenieur weniger als ein kleiner Handwerker.“ Er ging, und zwar zurück zum Taxijob. Ein Weg nach unten. Dann verlor er seinen Führerschein. „Ein Glück für mich“, findet der 52-Jährige heute. „Sonst hätte ich mich nie mehr um etwas anderes gekümmert.“ Und das hat sich gelohnt: Einen Job als Mathelehrer hat er an der SfE jetzt wieder in Aussicht.
Helmut Hohmeyer
Er hat einen Traum: „Am liebsten würde ich in einem Herbarium arbeiten, seltene Pflanzen sammeln, trocknen und katalogisieren.“ Doch Stellen dieser Art sind nicht ausgeschrieben, die gehen unter der Hand weg. In Wahrheit wäre Helmut Hohmeyer froh, wenn er überhaupt einen Job bekäme. Und sei es als Pharmareferent. Dabei liest sich der Lebenslauf des 44-Jährigen viel versprechend: 1985 Diplom und Staatsexamen der Biologie und Chemie an der FU Berlin, es folgte die Promotion in Liverpool 1989. Bis 1992 blieb Hohmeyer in England, arbeitete als wissenschaftlicher Assistent an der Universität in York. Nachdem seine Stelle ausgelaufen war, kam er zurück nach Berlin. Sein damaliger Professor hatte wegen Krankheit seinen Job quittiert, Hohmeyers bester Kontakt zum Berliner Wissenschaftsbetrieb brach damit weg. Er arbeitete als freier Mitarbeiter an einer wissenschaftlichen Datenbank mit, bis 1995 Mittel gekürzt wurden.
Seitdem verdient er seinen Lebensunterhalt eher schlecht als recht mit seinem Hobby: Er arbeitet als Turnierleiter in Berliner Bridgeclubs. Doch ohne das Geld vom Sozialamt käme er finanziell nicht über die Runden. „Jeden Monat bewerbe ich mich auf zwanzig verschiedene Stellen“, sagt der promovierte Biologe. Ohne Erfolg. Das Arbeitsamt druckt ihm schon Stellenangebote als Kraftfahrer aus, auf die er sich bewerben soll. Hoffnung, je wieder wissenschaftlich zu arbeiten, hat Hohmeyer nicht:„Wahrscheinlich war ich zu lange im Ausland.“
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