: Ab ins Mediengedächtnis
■ Die Frau, die ihren Mann mit einem Video verwechselte: „Forever Godard“ ist die letzte Produktion des Stükke-Theaters. Der Kreuzberger Bühne sind die Gelder gestrichen worden
Eine junge Frau hat ihr Gedächtnis verloren, und ihr Mann traktiert sie im Krankenhaus mit Urlaubsfilmen, um ihrem Erinnerungsvermögen auf die Sprünge zu helfen. „Jetzt kommst du nur noch vier Mal,“ sagt die Frau schließlich, und der Mann antwortet: „Warum kannst du dich bloß an das erinnern, was sein wird, und nicht an das, was war.“
Ein anderer Mann wirft eine Flaschenpost in einen See. Am Ende wird er aus New York angerufen, wo jemand die Flasche aus dem Hudson fischte, aber das Gespräch scheitert. Man versteht sich nicht. Ein Regisseur namens Gerhard kriegt Krämpfe, sobald er den Namen „Goethe“ hört. Ein Frau ließt schwer Theoretisches von Jean-Luc Godard vor, dem Namenspatron des Abends. Menschen auf einer Leinwand sprechen mit Menschen auf der Bühne. Und zwischendurch versucht die Frau ohne Gedächtnis immer wieder, sich zu erinnern, während ihr Mann sie dabei filmt.
Das sind Szenen aus einem ziemlich verschachtelten Stück des 1964 in Prag geborenen Igor Bauersima, in dem ein Regisseur mit Schauspielern ein Sück probiert, in dem ein Regisseur mit Schauspielern ein Stück probiert: „Forever Godard“ heißt das Ganze und hat mit Godard soviel zutun wie Godards Film „Forever Mozart“ mit Mozart.
Einer Frau auf der Bühne wird von einem Mann, der bloß auf einer Leinwand zu sehen ist, ein Tee angeboten. Als er dann mit der Teetasse real auf der Bühne erscheint, ist die Frau im Leopardenmantel längst verschwunden, und am Schluss singt sie einen wunderbaren alten Barbara-Streisand-Hit. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.
Wem das hier jetzt zu kompliziert ist, der muss nach Kreuzberg fahren, wo das Stükke-Theater seine letzte Produktion, „Forever Godard“, präsentiert. Falls kein Wunder geschieht, gehen Ende Dezember dort die Lichter aus, denn es gibt keine Senatssubventionen mehr. Und Wunder sind in diesen Jahren ziemlich selten.
Inszeniert hat noch einmal Donald Berkenhoff. Gespielt wird vor einer schwarzen Wand, in der drei Fernsehmonitore flimmern. Darauf laufen immer wieder kurze Szenen aus alten Spielfilmen oder simultan abgefilmte Spielszenen aus dem Stück. Die schwarze Wand ist wie eine Schultafel mit tausenden von weißen Namen vollgeschrieben – eine Enzyklopädie des Mediengedächtnisses, das Namen wie Erinnerungszeichen benutzt, das keine Einheit von Raum und Zeit mehr kennt, keine Erzählebenen und eben auch kein einheitliches Medium mehr.
Also zappt Igor Bauersima sich durch Medien und Erzählebenen. Theater, Film, Fiktion und Wirklichkeit verschwimmen. Die Figuren suchen ihre Geschichte und finden sie nicht. Sie wissen nicht mal, ob sie echt sind oder bloß Theaterwesen. Dabei entstehen Szenen und Geschichten, mal witzig, mal aberwitzig, mal klug, mal altklug.
Donald Berkenhoff inszeniert das Ganze als Screwball-Comedy – wo der Handlungsfaden fehlt, muss der Running Gag ihn ersetzen. Die Schauspieler hatten sichtlich ihren Spaß und die Zuschauer auch. Ein donnerndes Finale für das Stükke-Theater.
Esther Slevogt
Noch bis zum 24. Oktober, mittwochs bis sonntags, 20.30 Uhr, Höfe am Südstern, Hasenheide 54. Tel. 69 40 98 69
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