■ Warum die Bündnisgrünen die Wahlen verloren haben: Ein Vermittlungsproblem?
Die Scheinheiligkeit der Begründungen ist kaum noch zu überbieten, mit denen Spitzenpolitiker von Bündnis 90/Die Grünen seit Monaten die Serie von Wahlniederlagen ihrer Partei erklären. Mal führen sie die Verluste auf das schlechte Erscheinungsbild der Bundesregierung insgesamt zurück, mal darauf, dass die Ostdeutschen mit den traditionellen grünen Themen nichts anzufangen wissen, und immer darauf, dass der bedeutende grüne Anteil an der fabelhaften Politik der Koalition nicht kenntlich genug wird, anders ausgedrückt: auf ein „Vermittlungsproblem“.
Wer so etwas behauptet, unterstellt zugleich den eigenen WählerInnen ein im medizinischen Sinne alarmierend schlechtes Gedächtnis. Sie alle haben die Partei im September aus Gründen gewählt, von denen heute nicht mehr viele übrig geblieben sind. Die größte interne Zerreißprobe ist gerade vier Monate her. Mit relativ knapper Mehrheit hat im Mai die Bundesdelegiertenkonferenz in Bielefeld die deutsche Beteiligung am Nato-Angriff gegen Jugoslawien gebilligt. Viele von denen, die für den entsprechenden Antrag des Bundesvorstands stimmten, machten deutlich, dass sie eine Grundsatzdiskussion über außenpolitische Fragen für überfällig hielten. Wer gegen den völkerrechtlich umstrittenen Einsatz votierte, ließ erkennen, dass zugleich die Bindung an die Partei insgesamt in Frage stand.
Der Kosovo-Krieg ist vorbei – eine andere Sau läuft durchs Dorf. Das scheinen zumindest diejenigen zu hoffen, die den Nato-Einsatz im Zusammenhang mit der Analyse ihrer Wahlniederlagen einfach nicht mehr erwähnen. Die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts und der Ausstieg aus der Atomenergie spielen ebenfalls keine Rolle mehr. Stattdessen tun Bundespolitiker so, als seien Rentenreform und Sparpaket ausschlaggebend für die Wahlentscheidungen ihrer Anhängerschaft. Das glauben sie doch selber nicht.
Auch die FDP hatte nur so lange eine Überlebenschance, weil sie sich nicht alleine auf das traditionell gute Image der von ihr gestellten Außenminister verlassen hat. Wenn Bündnis 90/Die Grünen nicht endlich auch zu unbequemen Fragen unmissverständlich Stellung beziehen, dann haben sie es verdient, von der politischen Bühne zu verschwinden. Es ist wahr, dass Opposition kein Selbstzweck ist und eine Partei keine Angst davor haben darf, zu regieren. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Auch Regierungsverantwortung ist kein Selbstzweck. Bettina Gaus
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