: Vollgedröhnt im Realismus-Studio
■ Von dreien, die auszogen, das Fürchten zu lernen: In Jan Peters „Over the Rainbow“ wollen Girls vor allem gut drauf sein. Nur ein Rockstar hat Probleme mit seinem Alter Ego
Es ist ein ein echtes Verdienst von „Over the Rainbow“ endlich mal die etwas gnadenloseren Varianten von „Wetten, dass ...?“ ins Feld zu führen. Der Film von Jan Peter, Regie, und Yury Winterberg, Buch, könnte übrigens selbst eine Wette sein und gegen seinen eigenen himmelschreienden Anfang setzen, der immerhin ganz ungeahnte Möglichkeiten für die deutsche Fernsehunterhaltung aufzeigt. Doch wie wäre sie zu gewinnen? Den Anfang macht ein gewaltiges Versprechen und als solche Schlampen erweisen sich die drei Mädels leider nie mehr, die auf den nächtlichen Tod vollgedröhnter junger Autofahrer setzen, denen stets der nächstbeste Alleebaum als das große Ziel erscheint.
Schon in der nachfolgenden Wette geht es nur noch um einen aufkommenden Rockstar. Wer am längsten durchhält bei der Belagerung in seiner Wohnung, darf ihn am Ende haben. Ist nicht gerade der Knüller, diese Idee, aber sie besitzt ein gewisses Potenzial – das die Regie auch auszuschöpfen versucht. Und das hat durchaus Unterhaltungswert.
Das ideale dramaturgische Experimentierfeld liefert die loftähnliche Lagerhallenwohnung des Idols, die einen nicht zu verachtenden Ausblick auf die vorstellbar großartigste Raffinerie Ostdeutschlands besitzt. Manchmal scheint in der weiträumigen Fabriketage tatsächlich eine Konstellation auf, die an Reservoir Dogs denken lässt. Freilich heißen Fräulein Pink, Fräulein Black und Fräulein Blue eben Marie (Mina Tander), Astrud (Mareike Fell) und Iris (Annett Renneberg) und die drei 15-Jährigen sind letztlich von den Chemical Brothers stärker angetan als vom kommenden Rockstar Ray (Pascal Ulli). Mehr als sein Dr.-Jekyll-6-Mr.-Hyde-Syndrom wird ihm zum Verhängnis, dass sie nicht nur alles schlucken, sondern ebenso großzügig weiter reichen, was nur im Entferntesten verspricht, dass es törnt.
Genau besehen versteckt sich eine ziemlich ironische Geschichte im Plot von „Over the Rainbow“: Die Geschichte von drei Girlies, die postfeministisch skrupellos nur eines wollen – nämlich alles. Und bloß keine Langeweile. Dafür nehmen sie auch einiges in Kauf. Trotz oder gerade wegen ihrer Wette steht ihr Zusammenhalt auch hinsichtlich der Trophäe Ray außer Frage. Nur hat Ray ein Alter Ego names Spin (Bela B. Felsenheimer von den Ärzten), und der bringt die Girlie-Truppe in alter böser Macho-Manier etwas heftiger auf den Horrortrip. Vor allem aber ängstigt er Ray. Das ist, wie gesagt, der alte Dr.-Jekyll-&-Mr.-Hyde-Konflikt. Wenn Ray am Ende ins Koma versinkt, dann verblutet Spin nebenan. Der eine ist eben ohne den andern nicht zu haben.
Nun müsste diese Geschichte freilich vollkommen artifiziell erzählt werden; als kühle Kalkulation aus Raum, Licht, Sound und Effekten. Nicht, dass dem Film diese Ingredienzen nicht zur Verfügung stünden: der Big Beat diverser Berliner und Leipziger Bands, wie Desert Hearts, Think About Mutation, dan oder radiotron; die diversen Labels, deren Klamotten die Mädchen echt cool zu Markte tragen; die ziemlich perfekte Kamera von Sönke Hansen und ein klasse Licht. Aber „Over the Rainbow“ will das Märchen nicht erzählen, von dreien, die auszogen, das Fürchten zu lernen. Die Lagerhalle soll halt doch das große Realismus-Studio sein.
Und weil die Regie auf die Oberfläche setzt (zu Recht), das Buch aber (zu Unrecht) die persönlichen Untiefen seiner Protagonisten ausloten möchte, gibt es ständiges Schwanken zwischen Pop und Flop. Oder anders gesagt: einen etwas irritierenden Wechsel der Ebenen. Denn kaum hat man in den drei reizenden Darstellerinnen die coolen Girlies wieder gefunden, schon präsentiert sie die nächste Szene erneut als nervige Teenietussis.
Der Pressetext nennt dieses Problem das Spiel um Schein und Sein. Nun ja, der Schein ist uns eben lieber. Aber, wetten, es gibt in „Over the Rainbow“ noch genug davon.
Brigitte Werneburg
„Over the Rainbow“, Regie: Jan Peter. Buch: Yuri Winterberg. Mit Mareike Fell, Annett Renneberg, Mina Tander, Pascal Ulli und Bela B. Felsenheimer, D 1999, 90 Min.
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