: Schaaasenverwertung positiv
■ Der erste Tag: Das Konzept von TM3 für die Übertragung der Fußball-Champions League ist entschieden weniger barock als beim Vorläufer RTL. Dafür magischer
WM 1938, Italien gegen Brasilien, Halbfinale. Der Italiener Mezza nahm Anlauf zum Strafstoß. Just als er den Schuss ausführen wollte, rutschte ihm die Hose herunter. „Die Zuschauer erstarrten vor Verblüffung, der Schiedsrichter verschluckte fast seine Pfeife. Doch Mezza griff, ohne anzuhalten, nach seiner Hose und bezwang den Tormann, den das Lachen entwaffnet hatte.“
Diese von Eduardo Galeano in seinem Poesiealbum „Der Ball ist rund, und Tore lauern überall“ verewigte Szene erinnert an die Stripper-Komödie „Ganz oder gar nicht“. Doch diese schöne Szene, in der die Frauen von den Männern nackte Tatsachen fordern, passt leider nicht als Motto zur Ausstrahlung der Fußball-Champions League auf TM3. Das Attribut „Frauensender“ ist TM3 inzwischen so fremd wie Vox das Etikett „Kulturkanal“.
Im Vergleich zur früheren Übertragung des europäischen Wettbewerbs auf RTL ist das Konzept von TM3 erfreulicherweise weniger Show- als Info-orientiert. Baten früher der eitle Günter Jauch und Franz Beckenbauer in der Halbzeit zur berüchtigten „Analyse“ („Schaaasenverwertung negativ“), wirkten die beiden wie zwei Väter, die auf dem Elternabend Lampions basteln.
Ganz anders der nüchtern wie ein Fleischergeselle wirkende Michael Pfad auf TM3. Auf dessen Fragen gab es sogar richtigeAntworten von „Experte“ Kalle Rummenigge, über dessen Lippen als Ex-ARD-Ko-Kommentator selten mehr als die Vokabel „Vollspann“ kam. Auch bei den kurzen, knackigen Trainerinterviews zur Halbzeit (zwei Sätze – damit hat nicht einmal Christoph Daum Probleme) hat man von der eher barocken Fußballshow von RTL gelernt.
Nicht ganz so souverän trat der Kommentator des Spiels Bayer Leverkusen gegen Lazio Rom auf. René Hiepen ist kein Marcel Reif (aber zum Glück auch kein Heribert Faßbender). Trotzdem glückte Hiepen eine Art telegene Magie, die dem Fußball erst seine Würze gibt. Nach Oliver Neuvilles erstem TM3-Tor legt der Römer Mihaljovic sich nach einem Foul den Ball zurecht: „Das ist einer der besten Freistoßschützen der Welt“, bemerkt Hiepen beiläufig – und schon zappelt der Ball im Netz der Leverkusener. Zwischen der Mauer und den Fingerspitzen des Keepers hatte der Ball eine höchst eigenwillige Bahn gezogen, wie ein Blatt Papier, das man unter der Tür durchschiebt. „Das ist unglaublich“, ruft der Zuschauer zu Hause unwillkürlich – und schon wiederholt derKommentator wortgetreu: „Unglaublich!“ Und genau das ist es. Manfred Riepe
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