: Der Tünnes und Schäl des Nordens
■ Charly Dörfel, der Linksaußenseiter des Hamburger SV, wird morgen 60 Jahre alt.
„Ich habe mir die Bälle meistens von weit hinten geholt, ich wurde sogar von Horst Schnoor angeworfen, das war damals sehr neu, dann bin ich losgestürmt, hab' einszweimal das Wandspiel gemacht, das hab' ich auch miterfunden, zusätzlich zu den Bananenflanken, der Manni Kaltz darf mir nicht böse sein, ich war es, der die Bananenflanken eingeführt hat, auf die Grundlinie zugesteuert, über Verteidigers Fuß hinweg eine krumme Flanke geschlagen, am zweiten Pfosten stand Uwe, unser Leitbulle, und hat sie, weil er ja sehr hoch sprang, meistens verwertet.“
Wenn Charly Dörfel mit seinem unnachahmlichen Satzbau von alten Zeiten erzählt, wird schnell klar, warum man sich immer noch an diesen Mann erinnert, obwohl seine große Zeit gut dreißig Jahre zurück liegt. „Meine Berümtheit kommt aus den Anekdoten“, erklärt er, „ich war immer der Tünnes und Schäl des Nordens.“ So soll er nach einem Spiel der Norddeutschen Amateurauswahl in westfählischen Siegen den dortigen Bürgermeister mit den Worten verabschiedet haben: „Na, Herr Oberbürgermeister, dann halten Sie man Ihre Stadt gut in Schuss!“
Gut in Schuss ist Dörfler eigentlich auch heute noch, wo es nicht mehr leichtfüßig auf Eckfahne oder Tor zugeht, sondern rasant in Richtung Rente. Seinem Job freilich tut das keinen Abbruch, er arbeitet als Ermittler im Wirtschafts- und Ordnugsamt Stellingen, wo er Autos stilllegt.
Der gelernte Buchhalter (Höhere Handelsschule, Mittlere Reife) betont, dass er den bürgerlichen Beruf immer ernst genommen hat. Das erstaunt zunächst, steht es doch quer zu dem Bild, das Dörfel als Fußballerina und Linksaußenseiter, Halbstarker und Entertainer, dessen Einlagen nicht bloß aus den Fußballschuhen stammten, abgeliefert hat.
„Eigentlich ist Fußball zu spielen nichts als Kunst. Eleganz muss in einem drin sein.“ Charly Dörfel war der erste, der Bananen als Flanken servierte, eine bemerkenswerte Art, das Fußballeinmaleins „Den Ball beherrschen, den Mitspieler bedienen“ gleichzeitig ästhetisch und praktisch auszudrücken; der erste, der den Doppelpass mit sich selber spielte, ein unglaublicher Trick, den er „Wandspiel“ taufte und der zum Ausdruck bringt, dass Dörfel, im Gegensatz zu Uwe Seeler, der dem Ball immerfort die Stirn bot, dem reinen Siegenwollen einen sehenswerten Inhalt entgegensetzt.
Außerdem war er der erste Toupetträger im bezahlten Fußball. Fritz Pott, der Kölner Verteidiger, erzählt er, wollte ihm einmal das falsche Haar herunterreißen, Dörfel aber hatte es gar nicht an: „Angeschmiert, drüberlackiert!“. Schließlich versuchte er sich auch als Schlagersänger, eine Single mit den Titeln „Nur ein Kuss“ und „Das kann ich dir nicht verzeihen“ verkaufte sich über 20.000 Mal.
Letzteres könnte auch die Überschrift für das Kapitel „Enttäuschung“ sein, das der Oldie ab und zu aufschlägt. Enttäuscht zeigte er sich von Seeler, der ihm einmal beruflich nicht weiterhelfen wollte. Enttäuschung kam auf, als Dörfel, trotz guter Leistung in den Qualifikationsspielen zur WM 1962 nicht nach Chile mitgenommen wurde, stattdessen der Saarbrücker Heinz Vollmar. Freimütig gibt Dörfel zu, dass er Genugtuung empfand, als die Deutschen bereits im Viertelfinale an Jugoslawien scheiterte.
Auch den Abgang beim HSV hatte er sich anders vorgestellt. Trainer Klaus Ochs (Spitzname „Renate“) setzte dem Publikumsliebling 1972 die Neuverpflichtung Hans-Georg Volkert vor die Nase. Das stank dem Ausgemusterten gewaltig, Schluss mit lustig, die Operette war zu Ende, Dörfel ging nach Südafrika, später Kanada. Die Einsichten wurden metaphysisch: „Die haben mich noch nicht mal ignoriert“, beschwerte er sich über die Bild. Frische Geradlinigkeit und angenehme Heiterkeit hat er sich bis heute bewahrt. Einmal schneite er, der gebürtige Harburger, im dortigen Kapellenweg in einen Deutschkurs für Ausländer, die Schüler hatten ihn zu einer Feier eingeladen. Und ähnlich wie für den Sieger Oberbürgermeister hatte der ehemaligen HSV- Mann auch für die VHS-Kursteilnehmer einen praktischen Rat parat: „Lernt ruhig noch ,ne Sprache“, meinte er, „das ist immer gut.“
Feliz cumpleaños zum 60. Geburtstag, Charly!
Toni Huber
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