piwik no script img

Heute grau – morgen bunt?

„Erlaubt zu träumen ... von einer erneuerten Bremer grünen Partei, die bundesweit Wege aus der Krise weist.“  ■ Von Dirk Jenke, grüne Hochschulgruppe

An diesem Wochenende findet in Bremen der Landesparteitag der Grünen statt. Dort soll unter anderem ein neuer Vorstand gewählt werden. Aber auch die aktuelle Krise der Bundesgrünen wird Thema sein. Zu diesem Anlass hat Dirk Jenke von der Hochschulgruppe der Grünen einen weiteren Beitrag in unserer Debattenfolge zur Zukunft der Grünen verfasst.

Seit Gründung der Grünen ging es um zwei Spannungsfelder:

1. Von Dutschke (Antikapitalist) bis Gruhl (Wertekonservativer)

Die Einheit bestand in der Einsicht, dass die ökologische Frage die Gattungsfrage stellte. Offen war die Frage von Demokratie und emanzipativer Produktionsweise, das Verhältnis von Ökonomie und Ökologie. Eine offen-dynamische Klausel wurde gefunden: „Wir wollen unsere praktische Politik nicht aus vorgefertigten Weltbildern ableiten, sondern konsequent, von den vorfindbaren Problemen ausgehend, die notwendigen und angemessenen Lösungen suchen. Dabei kann das Überschreiten heutiger 'Systemgrenzen' weder ein Ziel an sich, noch ein Tabu sein.“ (Grüner Grundkonsens) Die praktische und theoretische Erfahrung und gegenseitige Überzeugungsarbeit konnte beginnen!

Heute haben wir zu fragen: Wieso konnte dies nicht durchgehalten werden? Ist dieser breite Horizont, die offene zu erarbeitende Perspektive nicht identitätsstiftend genug?

Was hat uns gefehlt?

2) Verhältnis von außerparlamentarischem Stand- und parlamentarischem Spielbein

Die Integrationskraft der Institutionen, des Parlamentarismus war ausreichend bekannt: „Die Institutionen sind stärker als die Menschen.“ (Karl Marx)

„Wer hat uns verraten?“

„Das Sich-Verweigern in den eigenen Institutionsmilieus erfordert Guerilla-Mentalität, sollen nicht Integration und Zynismus die nächste Station sein.“ (Rudi Dutschke)

Mit Rotation, Einheitsgehalt, basisdemokratischen Entscheidungsstrukturen, der Trennung von Amt und Mandat wurde sich gegen den parlamentarischen Sog gewappnet. Es gilt zu klären, wie dieser dennoch Schicht für Schicht abtragen und die „Anti-Partei“ (Petra Kelly) in eine ziemlich normale Partei verändern konnte.

Nach 30 Jahren „Langer Marsch durch die Institutionen“ und 20 Jahren grüner Partei steht ein Fazit an! In Bremen haben wir nun genug Zeit dafür – sowohl objektiv wie auch subjektiv, denn im fünften Oppositionsjahr müsste nun allen ziemlich klar sein, dass es sich hier nicht nur um eine kurzzeitige Übergangsphase handelt.

Bestandsaufnahme und Ausblicke

Die letzten Wahlen und die Bürgerschaftswahl haben für die Einen mehr, für die Anderen weniger schmerzlich verdeutlicht, dass die Aufmerksamkeit zur Bildung parlamentarischer Mehrheiten eng an die Aufmerksamkeit zur (Meinungs-)Bildung von Mehrheiten in der Bevölkerung gekoppelt sein muss: Die erste sozialdemokratische Regierungsphase in der BRD folgte auf die 68er-Bewegung. Die Gründung unserer Partei folgte auf die „neuen sozialen Bewegungen“ der 70er Jahre. Die Hoffnung auf Rot-Grün reichte eigentlich schon nicht mehr für die Regierungsverantwortung (Schröder und die Mehrheit der sozialdemokratischen WählerInnen wollten die große Koalition), aber die CDU wollte sich erstmal erneuern und Rot-Grün richtig gegen die Wand fahren lassen. Wie können wir also soziale Bewegung fördern, ihr zumindest nicht hinderlich sein?

Mit der Regierungsbeteiligung in Bonn/Berlin wie zurzeit der Ampel in Bremen ergaben sich Möglichkeiten in die letzten Institutionen der bestehenden Gesellschaft zu marschieren. Jedoch...

... wer sich fortbewegt, lässt auch zurück. Was und vor allem, welche Menschen haben wir auf unserem „langen Marsch“ zurückgelassen? 40 Prozent der bremischen Bevölkerung hat nicht nur nicht uns, sondern überhaupt nicht gewählt. Hinterlassen wir eine demokratiefreie Zone: Hoffnungslose, Resignierte, Zyniker? Bricht hinter uns mehr zusammen als wir vor uns aufbauen können? Jeder parlamentarische Schritt in die Machtzentren muss außerparlamentarisch rückvermittelt werden. Hat denn noch jemand „hinter uns“ die Erfahrungen nachvollziehen können, die wir im Parlament, in der Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Machtzentren gesammelt haben?

Ein Spagat fürwahr. Wie können wir ihn erträglich organisieren? Klar dürfte sein, dass wir, die SPD und die Gesellschaft vor einer Zäsur stehen – so wie bisher geht's nicht mehr weiter. Ehemalige Grünen-WählerInnen wählen nicht PDS, sondern gar nicht. Einen Rückfall hinter erreichte Standards haben wir also zunächst nicht zu beklagen. Auch die Jugend hat Ansprüche: Greenpeace und amnesty international stehen hoch im Kurs, nur die Parteien genügen ihnen nicht. Der „Rheinische Kapitalismus“, die soziale Marktwirtschaft ist in Frage gestellt. Thomas Kollande-Emigholz spricht in der taz vom 25. Juni von „den Auswirkungen der globalen ,Revolution des Kapitals' (denen) selbst demokratisch gewählten Regierungen nicht mehr entgegenwirken (können)“. Die Spiegel-Redakteure Schumann und Martin nennen das „Diktatur des Weltmarktes“. Der alles umwälzende Übergang von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft bietet Möglichkeiten, um über die Widersprüche der bestehenden Produktionsweise aufzuklären, Alternativen aufzuzeigen, diese mit den unmittelbar Betroffenen weiterzuentwickeln.

Dies überzeugend rüberzubringen, ist allerdings die Aufgabe der Linken. Parteifixierung ist ebensowenig ratsam wie der Austritt aus den Grünen. Es geht um einen intensiven Diskussionsprozess, der in konzeptionelle Klarheit mündet und um den weiteren Aufbau des Netzwerkes mit Grünen, Ex-Grünen und Noch-Nie-Grünen. Dieses gewährleistet die Verzahnung mit außerparlamentarischen Gruppen und muss zu einer Ideen-, Konzepte- und Basisprojekte-Schmiede werden, mit denen die Realos ernsthaft konfrontiert werden können. Das wäre ein echter Jungbrunnen für die ganze Partei.

Erlaubt mir bitte zu träumen ...

von einer erneuerten Bremer grünen Partei, die bundesweit den Weg aus der Krise mit weist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen