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Nach dem Ausgleich gab's Schimpfe

Das deutsch-türkische Fußballfest in der Waldbühne blieb friedlich – aber freundlich nur, solange das Spiel für Hertha lief. Im Oktober gibt es das Rückspiel  ■   Von Lukas Wallraff

Hinterher waren alle zufrieden. Die Polizei, weil es nach dem Spiel zwischen Galatasaray Istanbul und Hertha BSC am Mittwoch ruhig blieb: „Das 2:2 war ein ideales Ergebnis. Alles blieb friedlich.“ Der Fernsehsender tm 3 freute sich, weil 8.000 Fans zur Live-Übertragung in die Waldbühne kamen und 40.000 Mark für die Erdbebenopfer spendeten: „Ein gelungener Abend“. Und die Berliner Presse, weil sie auf der Multi-Kulti-Schiene fahren konnte: „Deutsche & Türken feierten Fußball-Party in Waldbühne“ (Bild).

Lange Zeit war es wirklich nett. Rund 500 türkische Fans bildeten einen kleinen Fanblock. Mit gelb-roten Luftballons und türkischen Fahnen unterstützten sie die Istanbuler Mannschaft. Murat aus Neukölln muss seine wechselnden Loyalitäten erklären: „Eigentlich bin ich Fenerbace-Fan. In der Bundesliga bin ich für Hertha. Aber heute halte ich Galatasaray die Daumen.“

Murat war schon oft in der Waldbühne, bei Konzerten und Kinofilmen: „Ich liebe die Atmosphäre und dachte mir, das Spiel hier anzuschauen ist viel schöner als in einer stickigen Kneipe.“ Deshalb ist er nicht in eine der vielen türkischen Bars mit Satellitenschüssel gegangen. Auch sein Freund Birol hatte keine Bedenken: „Die Benefiz-Veranstaltung ist sehr gut. Wir bedanken uns für die Hilfe. Und vorhin haben wir schon Freundschaften mit Hertha-Fans geschlossen.“

Private Kontakte zwischen türkischen und deutschen Fußballfans – genau das wünscht sich Axel Pannicke. Der Sozialarbeiter vom Berliner Fanprojekt versucht seit Jahren, die Ausländerfeindlichkeit in den Stadien abzubauen. Erfreut registriert er kurz nach Spielbeginn, dass die Hertha-Fans bei der Schweigeminute für die Erdbebenopfer aufstehen und anschließend Beifall klatschen. Doch Panicke kennt seine Pappenheimer und bleibt spektisch: „Es kommt immer darauf an, wie das Spiel läuft.“

Zunächst läuft es gut für die Hertha, sie geht 2:0 in Führung, die blauweißen Massen feiern. Wie im Stadion stehen die Hardcore-Fans im Unterrang und feuern ihre Mannschaft an, die im 2.270 Kilometer entfernten Istanbul spielt. Im gelbroten Block wird es ruhig, die enttäuschten türkischen Fans setzen sich.

Nach 45 Minuten steht es 2:1. Ob Galatasaray noch eine Chance hat? „Schau mer mal“, so Murats trockener Halbzeitkommentar in bestem Kaiser-Deutsch. Nach der Pause plätschert das Spiel dahin – bis kurz vor Schluss. Aufregung in der Waldbühne: Elfmeter, 2:2 für Istanbul, Rote Karte für Hertha.

Danach ist es vorbei mit den Freundlichkeiten. Fanbetreuer Panicke hatte Recht, es kommt immer darauf an, wie das Spiel läuft. Die Hertha-Fans schmeißen Bierbecher in Richtung Galatasaray-Fans.

Die reagieren mit Stinkefingern, und die Polizei postiert sich zwischen den Fanblöcken. Laut schallt es jetzt durch die idyllische Waldarena: „Ihr seid Türken, asoziale Türken“, „Scheiß-Kanacken“ und „Es kommt die Zeit, wenn wir uns wiedersehen.“

Am 26. Oktober steigt das Rückspiel im Olympiastadion, tausende türkischer Fans werden erwartet. Auch Murat hat schon eine Karte. Die verbalen Attacken nimmt er gelassen: „Normal bei Hertha.“

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