: Zurück zu den Wurzeln
Die Hanfwirtschaft Rumäniens ist nach 1989 zusammengebrochen. Langsam erholt sie sich wieder – nicht zuletzt dank Exporten und ausländischen Investoren ■ Von Keno Verseck
„Eines Tages kam die Baumwolle. Dann hörten wir irgendwann auf, Hanf anzubauen. Das war so in den Siebzigerjahren.“ Elena Ciobanu, 60, die heute als Rentnerin in Bukarest lebt, erinnert sich an die Zeiten, als in ihrem Dorf in Südwestrumänien noch alle Nachbarn ein kleines Hanffeld hatten.
„Wenn die Blätter im August gilbten, rissen wir den Hanf mit der Wurzel heraus, trockneten ihn und ließen ihn später in Bündeln ein paar Wochen lang in einem großen Wasserbecken liegen, bis er fast faulte. Dann klopften wir ihn. Übrig blieben die Fasern. Wir kämmten sie gut durch, damit die schlechten herausfielen. Als Kind musste ich in den Schulferien aus den Fasern immer Garn spinnen. Meine Großmutter webte daraus Hemden, Handtücher und knüpfte Teppiche.“ So wie Elena Ciobanu können in Rumäenien viele ältere Leute vom Hanfanbau erzählen. Denn der hat im Land eine lange Tradition.
Schon Herodot berichtete im fünften vorchristlichen Jahrhundert vom Hanfanbau zwischen Donau und Karpathen. Doch während der griechische Geschichtsschreiber lediglich von berauschten Ureinwohnern kundtat, entwickelte sich Hanf später zum Gewebe Nummer eins: Noch bis vor drei Jahrzehnten kleideten sich vor allem die Menschen vom Lande mit Hanfhemden und -hosen und fertigten aus Hanf Bettwäsche, Tischdecken, Handtücher, Teppiche, Säcke für Getreide und Mehl.
Bei der industriellen Hanfproduktion und -verarbeitung lag Rumänien bis vor kurzem auf einem der ersten Plätze in Europa. Tauwerk und Seile waren ein gutgehender Exportartikel. Noch 1989, dem Jahr in dem der Diktator Nikolae Çeausescu stürzte, betrug die Produktion an Hanffasern knapp 115.000 Tonnen. Danach sank sie im Zuge der allgemeinen Rezession drastisch und lag im vergangenen Jahr bei lediglich 11.000 Tonnen.
Elena Tatomir, Textilexpertin im Landwirtschaftsministerium, nennt die Gründe dafür: „Viele Fabriken sind nach 1989 pleite gegangen, weil sie uneffektiv und energiefressend produzierten. Außerdem können Hanfprodukte derzeit nicht mit den billigeren künstlichen Importtextilien konkurrieren, die seit 1989 auf dem Markt sind.“
In den kommenden Jahren werde die Hanfproduktion jedoch wieder steigen, lautet die Prognose von Elena Tatomir. Der Tiefpunkt lag 1994 mit einer Jahresproduktion von 4.600 Tonnen. Seitdem weist die Statistik langsam nach oben. Zudem gewährt das Landwirtschaftsministerium den Anbauern seit diesem Jahr erstmals Subventionen beim Kauf von Saatgut und bemüht sich, für bankrotte Hanffabriken Investoren zu finden.
Einen solchen sucht auch die Firma Fimotex aus Groß-Sankt-Nikolaus im westrumänischen Banat. Der Betrieb stellte vor 1989 Textilfasern, Werg und Pressspanplatten aus Hanf her. Die Produkte gingen zumeist an staatliche Landwirtschaftsbetriebe. Jetzt liegt der Betrieb seit Jahren still. Nur noch einige technische Angestellte halten Maschinen und Gebäude instand. „Nachfrage nach unseren Produkten besteht im Inland nicht mehr, weil unsere früheren Abnehmer nicht mehr existieren“, sagt der Direktor Mihai Staica. „Exportiert haben wir schon früher wenig, außerdem sitzen wir auf einem Berg von Schulden. Es gibt Interessenten in Italien, Deutschland und den USA. Wenn uns niemand kauft, müssen wir dichtmachen.“ So wie der Firma Fimotex geht es derzeit den meisten der elf in Rumäenien noch existierenden Fabriken, die Hanf verarbeiten.
Eines der wenigen Erfolgsbeispiele ist dagegen der Hanfbetrieb Carin nahe der westrumänischen Stadt Arad. Im letzten Jahr kaufte die Berliner „Treuhanf“ 96 Prozent der Carin-Aktien. Seitdem stellt die Arader Fabrik Hanffasern für Textilien nach der klassisch-ökologischen Methode her, die auch die rumänischen Bauern früher anwendeten. Den Hanf erwirbt die Firma von Bauern oder privaten Genossenschaften im Kreis Arad. 850 Hektar Hanf hat Carin in diesem Jahr aufgekauft und daraus 300 Tonnen Fasern produziert. Im nächsten Jahr, so Carin-Direktor Liviu Buta, sollen es bereits 1.000 Tonnen sein.
Die Fasern werden gleich in Rumänien zu Hanfstoff weiterverarbeitet und zwar bei der Firma Integrata im nordostrumänischen Städtchen Pascani. Es ist die einzige Fabrik in Rumänien, die Hanfstoff mit nicht umweltschädigen Chemikalien herstellt. Die Firma liefert sowohl Stoff für Kleidung als auch für Möbel und stellt selbst unter anderem Jeans her. Fast die gesamte Produktion wird exportiert, unter anderem nach Deutschland, Belgien und Frankreich.
„Leider gibt es in Rumänien kaum Käufer für unsere Ware, denn die Leute haben kein Geld“, bedauert die Integrata-Direktorin Nina Agache. Dabei ist sie selbst begeisterte Hanfjeans-Trägerin und würde allen Landsleuten empfehlen, die Hanfhosen auszuprobieren. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, noch Sachen aus künstlichen Fasern anzuziehen“, schwärmt sie. Auch Carin-Direktor Liviu Buta wünscht sich mehr Umweltbewusstsein in Rumänien. Denn dann könne auch der Hanfanbau in seinem einstigen Umfang wiederbelebt werden. „Wir könnten große Industriezweige aufbauen“, sagt Buta. „Die meisten Verwendungsmöglichkeiten des Hanfs, zum Beispiel in der Bauindustrie oder als Heizmaterial, sind ja noch gar nicht richtig erkannt.“
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