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Referendum für eine bessere Zukunft

In Algerien strömen die Menschen für eine gesellschaftliche Aussöhnung an die Urnen. Die Wahlbeteiligung ist hoch. Der Sieg der Option von Präsident Bouteflika gilt dabei als sicher  ■   Aus Benthala Reiner Wandler

„Ich habe mit Ja gestimmt. Man muss vergessen und vergeben können, sonst hört das hier nie auf“

Mohamed ist seiner Staatsbürgerpflicht bereits am frühen Morgen nachgekommen. Er verlässt das Wahllokal im Schulgebäude am Ortseingang von Benthala, 20 Autominuten vor Algier in der fruchtbaren Mitidja-Ebene. „Sind Sie für die Initiative des Präsidenten für die Wiederherstellung des Friedens und der zivilen Eintracht?“, lautet die Frage, über die es abzustimmen galt. Der 47-jährige musste nicht lange überlegen. „Selbstverständlich habe ich mit Ja gestimmt“, sagt er.

Der Mann im blauen Arbeitsanzug und ausgetretenen Schuhen lebt in Hay Boudoumi, dem Ortsteil von Benthala, dessen Bilder vor knapp zwei Jahren, am 23. September 1997, um die Welt gingen. Die Angreifer kamen über die Felder. Armee und Polizei ließen die Opfer im Stich. Stundenlang konnten die Eindringlinge ungestört wüten. Bilanz der grausigen Nacht: In nur zwei Straßenzügen am Rande des Ortes verloren über 400 Menschen ihr Leben, darunter Mohameds Schwester und ihre neunköpfige Familie. Rachegefühle weist Mohamed heute dennoch weit von sich: „Man muss vergessen und vergeben können, sonst hört das hier nie auf“, sagt er.

Mohameds Nachbar Omar stimmt für die Aussöhnung, weil er sich davon Positives für die Entwicklung des Landes verspricht. „Wir können doch nicht ewig so weiterleben.“ Ein Blick auf die halbfertigen Häuser, die Straßen ohne Asphalt, die Kinder in zerschlissener Kleidung, die barfüßig mit einer ausgedienten Fahrradfelge spielen, verraten, dass er damit nicht nur die angespannte Sicherheitslage der letzten Jahre meint.

Die Mehrheit in Benthala denkt wie Mohamed und Omar. Der Zustrom am Wahllokal reißt nicht ab. Nur eine Stunde nach der Öffnung nimmt die Wahlbeteiligung die Zehnprozenthürde. Das war seit 1991, als die Islamische Heilsfront (FIS) nicht nur hier in Benthala siegreich ins Rathaus einzog, nicht mehr da. Eine Rekordbeteiligung zeichnete sich bei Redaktionsschluss überall im Lande ab. Umfragen sprechen von bis zu 80 Prozent Ja-Stimmen für das Gesetz der zivilen Eintracht, das eine Amnestie für all diejenigen Mitglieder bewaffneter Gruppen vorsieht, die kein Blut an den Händen haben, und eine milde Bestrafung für die anderen, sofern sie sich bis Anfang nächsten Jahres ergeben. Groß ist die Hoffnung, dass dieses Mal der seit sieben Jahre währende Konflikt mit seinen 120.000 Toten wirklich ein Ende findet.

„Die Religion verbietet uns die Rache“, sagt Said. Der 42-jährige Lkw-Fahrer zeigt auf sein Haus mit rußverschmierter Fassade. „Das brannte in jener Nacht völlig aus. Menschenleben haben wir in unserer Familie zum Glück keine zu beklagen.“ Mittlerweile hat er die Fenster und Türen repariert, die Inneneinrichtung ersetzt. Nach dem Massaker schloss sich Said den örtlichen „Patrioten“, den staatlich bewaffneten Selbstverteidigungskomitees, an.

„Die haben alle gut reden“, schimpft Belaid. Er ist einer der wenigen, die nichts von Versöhnung und Frieden wissen wollen. „Ich habe nicht irgendwen verloren. Die haben mir meine zehn Kinder und meine Frau genommen. Ich werde nie vergeben.“ Für den 39-jährigen Feldhüter, der mittlerweile wieder verheiratet ist, sind die Politiker „alle verrückt“. „Warum kam Bouteflika während seiner Kampagne nicht hierher?“ Er hätte ihm schon seine Meinung gesagt. Belaid gehört zum örtlichen Ableger des „Komitees gegen das Vergessen und den Verrat“ (CNOT), eine kleine Minderheit der Vereinigungen der Opfer des Terrorismus, die sich nicht der Politik des Präsidenten angeschlossen hat. Als während der Kampagne zum Referendum die Pfadfinder durch den Stadtteil zogen, um für die Aussöhnung zu werben, stellten sich ihnen Belaid und eine Handvoll Gesinnungsgenossen entgegen. „Wir riefen Verräter und jagten sie davon“, erzählt er. Seine harten Gesichtszüge hellen auf.

Sein Nachbar und Freund Ali, der selbst den Tod einer Tochter zu beklagen hat, will Belaids Hass nicht verstehen. „Rachegelüste führen uns doch nicht weiter“, sagt er. „Wir können doch nicht auch noch das Leben der zukünftigen Generationen verpfänden.“ Belaid schaut ihn an und schweigt. Seit jener Schreckensnacht hat er gelernt, den Schmerz zu schlucken, aber wenigstens konnte er sich ab und zu im Gespräch mit seinen Nachbarn Luft machen. Seit Präsident Bouteflika von Aussöhnung redet, geht auch das nicht mehr, zu groß ist die Gefahr, sich zu streiten. „Jeder kann denken, was er will“, brummelt Belaid vor sich hin und wendet sich ab.

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