: Gewogen und für zu schwach befunden
Deutsche Ratingagenturen versuchen die Vorherrschaft der mächtigen US-Agenturen zu brechen ■ Von Horst Peter Wickel
Nürnberg (taz) – Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer war im Mai dieses Jahres ziemlich verärgert. Gleich um zwei Ratingpunkte hatte die US-Agentur Moody's die Anleihen der größten deutschen Bank heruntergesetzt, mit denen sich der Finanzkonzern Geld auf den internationalen Kapitalmärkten leiht. Aus der alten Note „Aa1“ war die „Aa3“ geworden, zwar noch immer Ausweis guter Bonität, doch schlechter als bisher. Begründung der Ratingagentur: der starke Wettbewerb auf dem Bankenmarkt und die Übernahme der US-Investmentbank Bankers Trust bringe „die Ertragskraft unter Druck“.
Auch die anderen deutschen Geldhäuser mussten in den vergangenen Jahren bei der Benotung durch die großen Ratingagenturen Rückschläge hinnehmen. „Die Risikobereitschaft der deutschen Banken ist in den vergangenen Jahren enorm gestiegen“, begründete Michael Zlotnik von Standard & Poor's (S&P) die Abwertung, bei einigen Banken machten sich auch noch die Nachwehen der Expansion in den neuen Bundesländern bemerkbar.
Nicht nur Spitzenbanker zeigen sich genervt über die Ratings der beiden Branchenriesen S&P und Moody's, auch die Vorstände von Industrieunternehmen und Dienstleistungsgesellschaften würden den Bewertungen der Ratingagenturen gern etwas entgegensetzen. Doch offene Kritik wagen die Unternehmen nicht. Dabei werden sie für die oft monatelangen Untersuchungen im eigenen Hause und die nach undurchschaubaren geheimen Kriterien festgelegten Ratings sogar noch selbst mit Beträgen von durchschnttlich 100.000 Mark zur Kasse gebeten. Die Noten der beiden Rating-Riesen Moody's und S&P gelten als unangreifbar, die anderen fast 70 Ratingagenturen weltweit können da nicht mithalten. Seit Jahren gibt es Pläne, dem „Rating made in USA“ etwas entgegenzusetzen, denn, so meinen Finanzmarktexperten, zu einem hochentwickelten Finanzplatz gehören nicht nur Zentralbank, Währung und Börse, sondern auch eine eigene Ratingagentur.
Seit einigen Monaten ist Bewegung in die Diskussion gekommen. So wurde im Sommer in Frankfurt die EuroRatings AG gegründet, die im Herbst 1999 ihre Arbeit aufnehmen soll. Haupteigner ist die ggb Beteiligungsgesellschaft, eine Tochter der Deutschen Ausgleichsbank, mit einem Fünftel die Verlagsgruppe Handelsblatt, der Verlag Hoppenstedt und die österreichische Finanzierungs Garantiegesellschaft sowie Vorstandsmitglied Günther Stur mit jeweils zehn Prozent. Fast zeitgleich gründete das Bildungswerk der bayerischen Wirtschaft in München die Unternehmensrating-Agentur U.R.A. sowie einige Wochen später die RS Rating Services AG. Im September soll in Berlin die Gesellschaft für Ratings im europäischen Mittelstand als Vorschaltgesellschaft folgen.
Vor allem auf mittelständische Unternehmen wollen sich diese neuen deutschen Ratingagenturen konzentrieren, angeblich ständen schon hunderte von Mittelständlern auf der Warteliste. Die Agenturgründer rechnen mit einem Potenzial von mindestens 10.000 Unternehmen, die sich gern mit einem Rating-Label schmücken wollen. Die meisten Beobachter jedoch sind skeptisch: erstens sei der Bedarf an Ratings gerade bei kleineren und mittleren Unternehmen gering, zweitens sei eine Agenturgründung durch einen Arbeitgeberverband wie in Bayern nicht unbedingt als Aushängeschild für künftige Unabhängigkeit zu sehen.
Bisher haben die deutschen Newcomer bei der US-Konkurrenz jedenfalls noch keine Nervosität ausgelöst. „Konkurrenz belebt das Geschäft“, sagt Jürgen Berblinger von Moody's Deutschland. „Wir beobachten das, fühlen uns aber nicht unbedingt bedroht.“ Dabei wäre eine effektiv arbeitende Alternative zu S&P und Moody's nicht nur wegen der US-Lastigkeit zu begrüßen. So haben die amerikanischen Agenturen die Asienkrise schlicht verschlafen und ihre Ratings für diese Region erst korrigiert, als die Region schon fast am finanziellen Abgrund stand. Die Nähe zu den lokalen Märkten fehle bei den Agenturen, meinen Kritiker, obwohl Moody's und S&P inzwischen eigene Vertretungen in Europa unterhalten. Außerdem kämen sie mit ihren neuen Bewertungen ohnehin immer zu spät. So muss auch Jürgen Berblinger zugeben, dass die Ratingfachleute schon immer im Dilemma steckten. Entweder machen sie zu früh die Pferde scheu und sind dann mitverantwortlich für die Verschlechterung der Situation, oder sie agieren zu vorsichtig und zurückhaltend – dann droht die Gefahr, dass sie selbst von den Ereignissen eingeholt werden.
Anleger können sich selbst ein Bild von den Bewertungen der Ratingagenturen machen: im Internet unter den Adressen www.moodys.com oder www.standardpoors.com . Die Adressen aller weltweit tätigen Ratingagenturen finden sich unter www.everling.de
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