: „Er sollte mehr an seine Mutter denken“
■ Der Kanzler müsse Liebe zeigen, mahnte die Abgeordnete von Renesse. Gelang es ihm gestern?
taz: Hat Ihnen Ihr Kanzler nun besser gefallen?
Margot von Renesse: Er hat in seiner Rede zu meiner tiefen Befriedigung deutlich gemacht, dass er den Weg, den er einschlägt, nicht aus Rechthaberei geht, sondern weil es ihm um das Wohlergehen dieses Staates, dieses Volkes geht.
Hatten Sie vorher den Eindruck, dass es mehr um Rechthaberei geht?
Das Sommertheater hat die Rechthaber so richtig auf die Szene gestellt. Die Leute an der Basis hatten das Gefühl, hier kämpfen Ideologen um den jeweils richtigeren Weg. Dabei hat die Frage, ob es den Leuten auf der Straße wirklich besser geht, eine untergeordnete Rolle spielte.
Was war denn gestern so prägnant, dass Sie glauben, es kommt an bei der Basis?
Die Rede war von dem Begriff Verantwortung geprägt. Er hat deutlich gemacht, dass gespart werden muss, um das Land gesund zu machen, um Arbeit zu schaffen. Er hat die Zielrichtung des Sparens heute klarer gemacht.
Was muss Schröder weiter tun?
Jetzt kommt es auf die Taten an. Es wird in dem Sparpaket deutlicher werden müssen, dass diejenigen, die besonders darunter leiden, auch was davon haben. Zum Beispiel müssen wir versuchen, dass Sozialhilfeempfänger tatsächlich was von der Erhöhung des Kindergeldes haben.
Woran hat es denn vorher gehapert, was waren die „Vermittlungsprobleme“?
Wir haben eine Reihe von Dingen tun müssen, die bei den kleinen Leuten schlecht angekommen sind. Stichwort 630-Mark-Gesetz. Bei diesen Entscheidungen hatten die Verantwortlichen nicht die Menschen vor Augen, um die es geht. Deswegen gelang es nicht, zu erklären, wieso solche Einschnitte nötig sind. Wenn man die Betroffenen nicht – wenigstens gedanklich – sieht, ist die Art und Weise, wie man darüber redet, falsch.
Muss der Kanzler und Parteivorsitzende jetzt mit dem designierten Generalsekretär Müntefering in NRW Klinken putzen?
Das wird er kaum können. Aber es wäre schon schön, wenn er mehr in der Provinz auftauchen und mit den betroffenen Leuten reden würde. Sich mit PR-Leuten zu umgeben, ist nett, aber man muss sich auch von den Menschen anhören, wo es weh tut. Ich haben den Eindruck, das sollte er mehr tun.
Wieso ist das so wichtig?
Es ist die Frage, wie man seinen Job versteht. Wir werden von der Bevölkerung bezahlt. Die löhnen kräftig dafür, dass die Politik in ihrem Sinne gemacht wird. Wir haben Mandate. In der Anwaltssprache heißt das, dass man einen Auftrag übernommen hat, den man im Interesse des Auftraggebers zu Ende führen muss. Man muss den Auftraggeber vor Augen haben, und das ist nach dem Grundgesetz das Volk.
Welcher Politiker verkörpert im Moment am ehesten die sozialdemokratische Seele?
Sie werden sich vielleicht wundern, aber an der Basis kommt Bundesfinanzminister Hans Eichel gut an. Die Leute spüren, dass er das Sparen für unumgänglich hält, es ihm aber nicht leicht fällt.
Was würden Sie dem Kanzler im Vier-Augen-Gespräch raten?
Das ist eine Situation, die ich mir kaum vorstellen kann. Ich hoffe, dass die Leute, die um ihn herum sind, ihm sagen, er soll mehr an seine Mutter denken.
Interview: Karin Nink
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