: HipHop ohne Tamtam
Im Senegal ist Rap die Sache einer Bildungselite, der „Generation Boul Falé“. Die Gruppe Positive Black Soul hat sie im Ausland bekannt gemacht, doch den Jüngeren sind die Pioniere des afrikanischen HipHop längst zu angepasst und kunstgewerblich. Was bleibt, wenn schwarze Musiker weder auf Afrofolklore noch auf subproletarischen „Gangsta“ machen wollen? Eine Reportage aus Dakar von Ania Faas (Text) und André Lützen (Fotos)
Wer Projects oder Banlieues kennt, kann nur staunen, wenn er der Spur des HipHop in Dakars Vorstadt Sicap folgt. Weit und breit kein Beton, keine Graffiti, keine demolierten Anlagen. Im Gegenteil, Liberté 6 und Amitié 2, zwei benachbarte Siedlungsreihen, geben ein wesentlich idyllischeres Bild ab als das verwahrloste Centre Ville. Die MCs Didier Awadi und Amadou Barry wohnen in kleinen getünchten Einfamilienhäusern. Auf dem sandigen Weg besingen matte Vögelchen die Mittagsglut, die Mauern hängen voll blühender Kletterpflanzen, und die Türschilder verbergen Gegensprechanlagen. Didier ist soeben von einer Reise zurückgekehrt. Er küsst sein Baby, seine Frau, seine Mutter auf die Wangen und lässt sich schwer in das riesige Ledersofa fallen. Zu abwegig klingt der Begriff Gelsenkirchener Barock bei dem schweißtreibenden Klima und orientalischen Düften aus der Küche. Aber treffender ist die Einrichtung des weitläufigen Salons kaum zusammenzufassen. Die gehäkelten Sitzschoner unter Didiers blütenweißem Anzug passen ins Bild.
„Schwarzmarkt, schwarze Katze, schwarzer Freitag – wenn du das Lexikon aufschlägst und nachliest, ist alles Negative schwarz. Wir sind auch schwarz, aber wir nennen uns Positive Black Soul, denn es gibt in Afrika mehr als Aids, Bürgerkriege und Staatsstreiche.“ Amadou spielt mit seinem Goldkettchen unter dem Kragen des feuerroten Tommy-Hilfiger-Hemds. Neben ihm, im Hinterhof, ist eine Ziege angekettet, und seine Worte werden zwischenzeitlich vom Lautsprecher der benachbarten Moschee übertönt. „Ich kann hier nicht sagen, ich reiße meine UZI raus und mache tatatata ... Ich kann auch nicht von den Problemen der Vorstädte sprechen, von den Niggern aus dem Ghetto und all dem, denn wir sind hier nicht in Sarcelles, nicht in der Bronx, sondern in Dakar.“
Das bedeutet, dass Rap von einer Elite gemacht wird. Im Senegal sind zwei Drittel der Bevölkerung Analphabeten. Wer lesen und schreiben kann, gehört zu den Privilegierten und hat in der Schule Französisch gelernt, das von einem größeren Publikum verstanden wird als die sechs regionalen Landessprachen. Postive Black Soul singen auf Wolof, Französisch und Englisch, und sie predigen Bildung. Denn im „friedlichsten Land Afrikas“, wo Muslime und eine christliche Minderheit in freundlicher Toleranz zusammen leben, sind Gewalt oder Rassismus für die Rapper kein Thema. An den hiesigen Fronten ist Wissen die wichtigste Macht. Wissen bedeutet Ausbildung, Ausbildung bedeutet Zugang zu einer Arbeit, Arbeit bedeutet Geld – und Kontrolle. Im Zweifelsfall sollte man wissen, wer die Fäden in der Hand hält, die alles bewegen.
Doch wer das ist, lässt sich im Senegal gar nicht so einfach beantworten. Einerseits natürlich der Staat und damit Präsident Abdou Diouf, der das Land seit 1983 regiert. „Starker Präsident, schwache Legislative“, heißt es im Bericht der UNO über die Republik. In ihrem Titel „Boul Falé“ haben PBS die Probleme dieser „démocratie musclée“, der muskulösen Demokratie, thematisiert und sind auf landesweite Resonanz gestoßen: Entwicklungshilfegelder werden verschwendet, die Bürokratie ufert aus, die Wirtschaftspolitik überrollt mit ihren eingekauften Strategien die traditionelle Lebensweise, wertvolle Zeit verstreicht über falschen Verlockungen. „Wir warten nicht mehr auf Subventionen und Versprechen. Wenn du einmal anfängst zu warten, wirst du es lange tun.“ Der Protest war angebracht. „Boul Falé“ – was so viel wie Don't worry bedeutet – wurde zum Schlagwort einer ganzen Generation. Im Ergebnis lagen die Dinge komplizierter. Denn Diouf hält sich mit den Mitteln der Subversion an der Macht. Wer ihn kritisiert, wird einfach integriert. PBS sind seiner Einladung in den Präsidentenpalast nach langem Zögern gefolgt, wo ihnen auch die harschesten Texte plötzlich nichts mehr nützten. Diouf hat ihre Musik gepriesen, Diouf hat sie wohlwollend entlassen. Er hat sie fast zu Tode gelobt.
Doch für ihre Heilslehre sehen die Rapper überall Bedarf, ihr Kampf gilt vielen Fronten: Tradition ist wichtig, meint die Generation Boul Falé. Aber „manchmal ist es schwer, die Wahrheit zu sagen, und das ist einer der wichtigsten Gründe, warum Afrika im Vergleich zum Rest der Welt so zurückgeblieben ist. Manche Eltern können ihren Töchtern nicht sagen, nimm ein Präservativ, wenn du einen Freund hast. Sie schämen sich.“ Das Dogma der Traditionen schützt die hierarchisch angelegte Familie, die unverrückbare Rolle von Männern und Frauen, die Tabus. Den Aberglauben, Überreste aus der animistischen Religion, die Macht der Marabouts, die Hunderttausende an ihre sektenartigen Schutzgemeinschaften binden.
Manchmal findet es Didier mühsam, Freund von Feind zu unterscheiden. Aber das Exil kommt für ihn nicht in Frage. Rap ist eben nicht nur Musik, sondern eine Methode, mit der Realität umzugehen. Und welche Realität sollte er beschreiben, wenn er in Amerika wohnen müsste? Dort leben die Unterprivilegierten, „die nicht das Glück hatten, hier geboren zu sein. Man hat sie deportiert – klar, dass ihnen das wehtut, sie haben ein tiefes Bedürfnis nach Identität.“
Rap ist schwarze Musik, aber Rap kommt nicht vom schwarzen Kontinent. Positive Black Soul, kurz PBS gerufen, gehörten zu den Pionieren, als sich Doug-E-Tee alias Amadou Barry und Didier Awadi 1989 zusammentaten. Heute sind sie die großen Brüder einer riesigen HipHop-Szene, die Youssou N'Dour und seiner poppigen M'Balax-Musik den Rang als größter musikalischer Exportschlager des Landes ablaufen möchte.
Tupac Shakur war es, der seinerzeit den Spirit des Rap in den Senegal brachte. Nicht unbedingt mit seiner Message, aber mit einem wahren Siegeszug des dazugehörigen Looks. CD-Spieler sind im Senegal so selten wie Regentage; Tupacs Konterfei dagegen trägt jeder Dritte auf dem T-Shirt. „Hier gibt es keine Gangster, auch bei den Jungen nicht. Wenn dir das einer sagt, dann nur, um sich interessant zu machen. In Wirklichkeit ist alles hier sehr friedlich.“ Auf US-Vorbilder ist Didier sowieso nicht gut zu sprechen. „Viele Farbige in den USA sagen dir: 'Ich singe für Afrika, I'm black and I'm proud, it's time to go back ...' Aber wenn es losgehen soll, heißt es plötzlich: 'In Afrika gibt‘s doch nur Kaffern. Leben die Leute da nicht auf den Bäumen, werde ich nicht krank, wenn ich das Wasser trinke?‘“
Erfahrungen mit den „Niggaz“ jenseits des Atlantik haben PBS anlässlich ihrer US-Tournee gemacht, die sie durch sechzehn Städte führte. Als Exoten eroberten sie das Publikum, und Außenseiter der angeblich so internationalen Black Community sind sie bis heute geblieben. Trotzdem haben sie keinen Grund, sich zu beschweren. Ihre erste CD „Salaam“ erlebte in Frankreich und den USA eine erstaunliche Karriere und ermöglicht den Rappern freien Zugang zu Studios und Vertrieb – auch außerhalb des Senegals, wo die Umsetzung höherer Ziele häufig an den rudimentären Strukturen scheitert. Aus Japan oder den USA importierte Studiotechnik ist teuer im Ankauf und am Zoll. Musik wird nur auf der Straße verkauft, aus dem Bauchladen der fliegenden Kassettenhändler.
Nachschub für die koffergroßen Holzkästen der Verkäufer gibt es nur bei Talla Diagne aus Dakar, dessen Monopol bislang niemand zu brechen vermochte. Der brillante Geschäftsmann Diagne straft die Botschaft von PBS Lügen, denn sein Erfolg basiert keineswegs auf Bildung: Jedes Jahr verdient er Millarden CFA-Francs mit M'Balax-, Rap- und Popmusikkassetten – und doch kann er weder lesen noch schreiben. Auch Bücher führt er nicht. In seinem Büro auf dem zentralen Sandagamarkt, das man durch einen engen Gang zwischen zwei Ständen erreicht, trohnt Talla hinter einem kahlen Schreibtisch. Schmal, klein, im unbedruckten T-Shirt, richtet der 28-jährige den Blick beim Gespräch fest auf das Porträt des Marabouts, seines spirituellen Führers. Der Serigne kassiert einmal im Monat dafür – und zwar in bar –, dass er Talla Diagne hilft, die richtigen Entscheidungen zu treffen. In der Szene wird gemunkelt, dass die Hälfte des Firmenvermögens in die religiöse Beratung fließt. Dieses Geschäft scheint beide Seiten zufriedenzustellen, allerdings auf Kosten der Musiker. Wenn Talla eine Kassette an seine Händler weitergibt, dann verkauft sie sich gut. Tut er es nicht, verstaubt die Auflage im Regal.
Angeblich gehören zur HipHop-Szene in Dakar mehrere hundert Bands. Viele davon existieren nur einen Sommer lang, kaum eine Handvoll übersteht die Bewährungsprobe der ersten Veröffentlichung. Jeder kennt jeden, und jede Band ist die Beste, doch die übergreifende Einigkeit der Jüngeren nährt sich aus gemeinsamen Feindbildern: Talla Diagne ist Nummer eins, die Gutmenschen von PBS Nummer zwei. Wer immer alles richtig macht, der muss sich wenigstens Vorwürfe gefallen lassen. „PBS sind zwar ganz gut, aber sie haben nachgelassen. Mit Afrika hat das nichts mehr zu tun.“
Auf den ersten Blick sind die Unterschiede zwischen den Messages der „Positiven“ und ihrer Nachfolger allerdings kaum auszumachen. „Ich bin Muslim, aber ich möchte ein universeller Mensch werden. Klar werden wir nach Mekka pilgern. Erst schicken wir unsere Eltern, und, Inschallah, wenn wir weißes Haar haben, werden wir uns selbst dorthin aufmachen.“ Kock 6 spricht für die Gruppe Pee Froiss und hat gerade mit den anderen Bandmitgliedern ein Haus in der Grande Medina bezogen. Von der Terrasse aus ist das Meer zu sehen. „Allah hat nichts gegen Rap, solange ich mich bemühe, damit meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Gott liebt den Mann, der arbeitet.“
Auch Tonton Mac, Gründer der Band Sunu Flavor, vertritt die Meinungen der Generation Boul Falé. Nach dem Informatikstudium hat er Atari, DAT-Rekorder und Keyboard in den Dienst des Rap gestellt. Sechzehn Stunden am Tag sitzt er unter dem Ölgemälde einer Violine in seiner winzigen Garage und komponiert, spielt ein, textet. Manchmal auch für andere Bands, die die Infrastruktur des Tonstudios nutzen. Alle zwei Stunden wird einer der kleinen Brüder zum Laden geschickt, um Tee zu kaufen, den der „Docteur“ und Manager dann sorgsam zu drei Aufgüssen verkocht, Ataya, erst bitter, dann minzig süß.
Offiziell will keiner schlecht über PBS reden. Aber die Kritik ist deutlich genug: „Was die Bands angeht, die im Ausland spielen, habe ich das Gefühl, dass sie Rap als Kunst verstehen. Ich hasse das. Sie tragen im Ernst diese traditionellen Klamotten, machen Tamtam und tausend Sachen, die wie Kunsthandwerk aussehen. Wenn man uns anbieten würde, in Amerika zu arbeiten, würden wir unsere Originalität verlieren. Man wird blind, man lebt nicht mehr die Realität von HipHop.“ Nach kurzer Zeit hat man sich in Rage geredet: PBS sprechen doch gar nicht mehr für ihr Quartier, sie haben sich zum Sprachrohr der Regierung gemacht, Gerüchte über Bestechung sind laut geworden ...
Die jüngsten Rebellen heißen Rapadio und geben sich altersgemäß radikal. Iba, KT und Bibson, zwischen 16 und 22 Jahre alt, treten nur in schwarzen Masken an die Öffentlichkeit. „Die Masken bedeuten: Das Individuum ist nichts. Jeder könnte das sagen, was wir in unseren Texten sagen.“ Und die haben unter den höflichen Senegalesen eine Menge Staub aufgewirbelt. Umstandslos wird Didier „Dickerchen“ genannt, die nasale Stimme von Amadou parodiert und Tonton Mac des Ideenklaus verdächtigt. Ob die Band dieses Level halten kann, ist die Frage. Mancher sonnige Tag bringt neue Kompromisse mit sich, letztlich ist auch Dakar ein Dorf, in dem man auf Hilfe und Wohlwollen anderer angewiesen ist.
Am Abend treten fünf heimische Bands im Fußballstadion auf. Die Konzerte machen bei Eintrittspreisen von 1.500 CFA niemanden reich. Aber von Dakars Publikum kann man anderswo nur träumen, zwanzigtausend Zuschauer sind hier nichts besonderes. Um fünf Uhr kommen die ersten, um Plätze zu besetzen, um neun tritt die knappe tropische Dämmerung ein, und eine Stunde später streiten sich die Rapper in den Katakomben hinter der Bühne um den einzigen DAT-Rekorder. Draußen ist die Stimmung glänzend, jeder Musiker wird frenetisch beklatscht und bejubelt. Ganze Sitzreihen tanzen synchron, und irgendwann reichen die Tribünen für den geballten Enthusiasmus nicht mehr aus. In Trauben lassen sich die Kids von der Balustrade fallen und rennen hakenschlagend zur Mitte des Stadions. Soldaten sind ihnen auf den Fersen, aber es ist Nacht, und im Gegenlicht der Bühnenbeleuchtung sieht man schlecht.
Auf einmal ist die Sperrzone auf dem Rasen voller begeistert drängelnder Leute. Die begrenzenden Metallgitter schwanken und fallen um, bedrohlich nah. Die Sicherheit hat vorgesorgt. Behängt mit Karabinern und Schlagstöcken rückt das Militär nach vorn. Uniformträger der ersten Linie ziehen ihre Koppel aus, Stoffgürtel mit schweren Nieten aus Metall, und schwingen sie wirbelnd in die Menge. Die „democratie musclée“ spannt den Bizeps, Blut fließt, die Show geht weiter.
Jetzt stehen PBS auf der Bühne, pittoresk erweitert um fünf Tänzer und einige Gastmusiker mit traditionellen Instrumenten, Trommeln, Balafon. Das Publikum tobt, Fans oder Freunde, Feinde oder Konkurrenten, in der schwarzen Woge sind sie nicht mehr zu unterscheiden. „Def lo Xam, tu nur, was du kannst, sage nur, was du weißt, dann kannst du ruhig schlafen“, heißt der Refrain, der von den Rängen widerhallt. Der Zwischenfall an den Gittern ist vergessen, gefeiert wird bis morgens um fünf. „Wer in Afrika etwas erreichen will, der muss sich durchsetzen können.“ Rapper oder Soldaten, die Regel gilt für alle.
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