Wo ein Zelt mit Boden als Luxus gilt

In Hamburg werden Patenschaften für türkische Erdbebenopfer gesucht  ■ Von Elke Spanner

Hilfstrupps aus dem Ausland sind schon lange keine mehr vor Ort. Die Versorgung mit Essen und der Wiederaufbau der Gebäude ist denen überlassen, die jetzt in Zelten in der Nähe ihrer ehemaligen Wohnhäuser campieren. „Helfer von außen sind direkt nach dem Erdbeben gekommen, um Überlebende zu bergen“, sagt Kadriye Baksi. „Sobald diese Hoffnung aufgegeben war, waren sie weg.“

Strom gibt es keinen in Gölcük. Die Wasserversorgung ist zusammengebrochen. Die Menschen, die das Erdbeben überlebt haben, sind fortgezogen, wenn sie sich das finanziell leisten konnten und anderswo in der Türkei Verwandte haben, die sie aufnehmen konnten. Wer im Katastrophengebiet geblieben ist, lebt nun in notdürftigen Unterkünften. Als Luxus gilt, ein Zelt mit Boden abbekommen zu haben.

Baksi lebt schon seit 19 Jahren in Hamburg. In Gölcük, einer der am meisten zerstörten Städte, ist sie aufgewachsen. Fünf Tage nach dem Erdbeben ist sie ins Katastrophengebiet geflogen. Sie wollte ihre Angehörigen finden. Und sie wollte sich schnell ein Bild davon machen, wie von Deutschland aus Hilfe organisiert werden kann. Parallel haben sich FreundInnen in Hamburg zur „Erdbebenopfer- Unterstützungsgruppe Gölcük“ zusammengeschlossen. Als Baksi damals in Istanbul landete, hatte sie schon erste Hilfslieferungen und Spendengelder im Gepäck.

Von den zuvor rund 80.000 EinwohnerInnen Gölcüks sind zwischen 20.000 und 30.000 tot. Die Schule, die Baksi als Kind besuchte, ist eingestürzt. Die Post, in der sie arbeitete, ist in sich zusammengefallen. Die engsten Familienmitglieder haben überlebt. Einige Verwandte sind tot. Viele ihrer ehemaligen SchulfreundInnen leben nicht mehr. Irgendwann hat sie aufgehört, Fragen zu stellen. Sie hatte Angst vor den Antworten.

Das Buch, in dem sie sich in Gölcük Notizen gemacht hat, ist dick und vollgeschrieben. Zwei Listen mit den Namen von Familien befinden sich darunter. Für die will die „Erdbebenopfer- Unterstützungsgruppe“ nun Patenschaften und Geldspenden organisieren. Sachspenden zu sammeln, hat die Initiative aufgehört. „Die Ortsvorsteher der einzelnen Dörfer dürfen die Hilfslieferungen nicht annehmen“, erklärt Baksi. „Was an Medikamenten oder Kleidung ankommt, wird zentral von den Großstädten aus verteilt“. Niemand weiß, wo und wann die Sachen ankommen.

„Die Überlebenden sind nicht durch staatliche Unterstützung am Leben, sondern weil sie sich die Hilfe selbst organisieren“, sagt Baksi. Der Alltag der Menschen im Katastrophengebiet ist noch heute davon bestimmt, das Überleben zu sichern sowie Essen, Wasser und Decken zu besorgen, denn langsam wird es kalt. In die Häuser zurück traut sich noch niemand. Erst Mitte dieser Woche gab es wieder ein Nachbeben, Stärke sechs.

Für 15 Familien sucht die „Erdbebenopfer-Unterstützungsgruppe Gölcük“ Patenschaften: HamburgerInnen, die mal ein Päckchen oder auch nur eine Karte schicken. Vielleicht auch monatlich einen Betrag überweisen, „mindestens ein halbes Jahr lang, wir wollen langfristig helfen“. Eine Liste haben sie von einem Ortsvorsteher des Dorfes Dostluk Sitesi Halidere bekommen, eine andere von BewohnerInnen des Ortes Sehitler Mahalle, die sich dort zu einem Beirat zusammengeschlossen haben.

Geldspenden: Inci e.V., Postbank, BLZ: 20010020, Konto: 65515208, Stichwort: Erdbebenopfer Türkei. Patenschaften: Info-Tel. 851 28 58