Vorzeitiges Weihnachten in Gersthofen

■ Der Bürgermeister der Stadt Gersthofen verschenkt an jeden Einwohner 100 Mark aus Haushaltsüberschüssen. Umstrittenes Millionengeschenk gilt manchem als „Sündenfall“

Gersthofen/Bayern (taz) – Das gab es noch nie. Sogar Kamera- und Reporterteams vom Türkischen Fernsehen und aus den USA waren angereist. Es war kurz vor acht Uhr, als sich gestern in Gersthofen bei Augsburg vor dem Rathaus der 20.000-Einwohner-Stadt eine lange Schlange bildete. Von Freitag bis Sonntag soll das berüchtigte „Millionengeschenk“ an exakt 19.504 Frauen, Kinder und Männer ausbezahlt werden.

Als erste Kommune Deutschlands hat Gersthofen gestern damit begonnen, all ihren Bürgern Geld aus dem gut gefüllten Stadtsäckel zu schenken – 100 Mark für jeden bar auf die Hand, der sich bis Sonntag im Rathaus meldet. Während anderswo über Steuer- und Abgabenlast gestöhnt wird, sollen nach einer Idee von Bürgermeister Siegfried Deffner (CSU) rund zwei Millionen Mark unter die Einwohner gebracht werden – als so genannte Bürgerdividende für die sprudelnden Gewerbesteuer-Einnahmen der vergangenen Jahre.

Die komplette Stadtverwaltung musste Sonderschichten einlegen, um dem Ansturm gleich vom ersten Tag an Herr zu werden. 15 Schalter wurden eigens geöffnet, damit jemand wie Alois Schäuble zu seinem Geld kam. Schon vor dem Startschuss um 9 Uhr reihte sich der 58- Jährige in eine knapp hundert Meter lange Schlange vor dem Rathaus ein, um die Gabe abzuholen. „Sonst muss der Bürger ja immer zahlen. Wenn eine Stadt gut gewirtschaftet hat, ist es doch nicht schlecht, wenn man wieder was zurückbekommt“, meinte der Neu-Gersthofener. Eine Bürgerin brachte Deffner sogleich ein dankbares Ständchen dar.

Doch mit dem Goldregen erntete Deffner auch harsche Kritik. Als Populist wurde er massiv beschimpft, auch von vielen CSU- Kollegen. Der Städtetagspräsident war genauso gegen die Aktion wie die Regierung von Schwaben, das Landratsamt Augsburg und das bayerische Innenministerium, wo gar von „einem Sündenfall“ die Rede war.

Besonders sauer: die Bürgermeister der umliegenden Städte und Gemeinden. Der Kollege aus Gersthofen, der sich's im „Speckgürtel von Augsburg“ wohl sein ließe, solle besser das Geld in soziale Projekte stecken oder die hohen städtischen Gebühren senken, war zu hören.

Mit knapper 12:11-Mehrheit, sogar eine CSU-Gegenstimme gab es, boxte Deffner den ungewöhnlichen Beschluss durch.

„Meine Bürgermeisterkollegen waren sehr unfreundlich zu mir. Hätte ich zehn Millionen aus der Stadtkasse veruntreut, hätten die mehr Nachsicht gehabt als jetzt“, beklagte sich der volksnahe Bürgermeister.

Vereinzelt heißt es, klar hätte man das Geld auch für was anderes ausgeben können. Aber in der reichen Stadt ist ja (fast) alles da: ein prunkvolles neues Rathaus (80 Millionen), eine riesige Tiefgarage samt Stadthalle (40 Millionen), eine neue Ortsdurchfahrt. Die Stadt schwimmt regelrecht im Geld. War es früher noch der Chemiegigant Hoechst, der einen Großteil des Steueraufkommens lieferte, so sind es inzwischen zahlreiche Industriebetriebe.

Viele wollen teilhaben am Millionengeschenk. Das Landratsamt Augsburg kürzte einem Asylbewerber kurzerhand die Zuschüsse für den laufenden Lebensunterhalt um 400 Mark, so erzählt Deffner. Die Behörde ließ den Mann wissen, er könne sich doch das Geld im Gersthofener Rathaus abholen.

Klaus Wittmann