: „Die Frauen an der Spitze werden demontiert“
■ Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Kerstin Müller, stellt sich hinter die beiden Parteisprecherinnen und meint, die Partei sollte mehr über die Erfolge der Bundesregierung reden
taz: Haben Sie Herrn Fischer gefragt, warum er alles daransetzt, um die Parteisprecherinnen Radcke und Röstel politisch zu ruinieren?
Kerstin Müller: Wir haben noch nicht miteinander über das Thema gesprochen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass Herr Fischer so etwas Unkluges gesagt hat. Er kennt die Partei gut genug, um zu wissen, dass der Bundesvorstand vom Parteitag gewählt wird und nicht über die Presse ausgerufen wird.
Der „Spiegel“ lügt?
Neulich hat der „Spiegel“ uns einen Putsch von Reinhard Büttigkofer angekündigt – glauben Sie etwa alles, was im Spiegel steht?
Seit Samstag reden alle darüber, dass Fischer grüner Parteipräsident werden will und Sie fragen ihn nicht, ob es sich dabei um eine Zeitungsente handelt ?
Er wird in der „Spiegel“-Meldung nicht zitiert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das gesagt hat. Wenn man aber will, das Reformen scheitern, muss man das so machen.
Wie groß ist der Schaden, den die Partei derzeit nimmt?
Der Schaden ist groß, wenn die Frauen an der Spitze durch solche Personaldiskussionen mitten im Wahlkampf demontiert werden. Man kann nicht den Frauen die Schuld für die Wahlniederlagen geben. Da müssen wir alle gemeinsam in Klausur gehen und gemeinsam und geschlossen unsere Folgerungen daraus ziehen.
Die Kritik an den Parteisprecherinnen kommt nicht von ungefähr. Sowohl Radcke als auch Röstel wurden aus Rücksicht auf Quote und Strömungen gewählt .
Das finde ich nicht. Antje Radcke macht eine sehr integrative Politik und keine Strömungspolitik. In der Kosovofrage hat sie zwischen den Positionen vermittelt, und das ist die Aufgabe einer Parteisprecherin. Im Übrigen erwarte ich, dass man Kritik an führenden Personen intern äußert und nicht solche Kampagnen über die Medien führt. Das muss aufhören. Ich gehe davon aus, dass Joschka Fischer beim Parteirat diese Missverständisnisse ausräumt.
Für die Parteispitze wünscht sich Fischer drei Stellvertreter und einen Generalsekretär. Könnten Sie mit einer solchen Parteistruktur leben?
Ich bin überhaupt nicht bereit über irgendwelche Strukturreformen zu diskutieren, so lange diese Rücktrittsforderungen im Raume stehen. Ich meine, über Reformen sollte man sich zunächst intern verständigen. Vor allem glaube ich, dass wir nicht in erster Linie ein Strukturproblem haben. Diese Debatten bringen uns nicht nach vorn. Ich glaube, alle sollten darüber reden, was wir in dieser Regierung erreicht haben und welche Reformen wir noch anpacken werden. Damit können wir deutlich machen, wofür wir stehen. Wir haben doch kein Mobilisierungsproblem bei unseren Wählern, weil wir eine Doppelspitze haben oder die Trennung von Amt und Mandat. Wir müssen unser Profil in der Koalition noch mehr schärfen. Darüber sollten wir reden.
Müssen Sie nicht auch über eine eventuelle Profilneurose von Joschka Fischer sprechen?
Wir müssen jetzt ruhig unsere Arbeit bilanzieren und daraus Schlussfolgerungen ziehen. Das mag auch zu Schlussfolgerungen bei den Strukturen führen. Nur, das ist nicht unser Hauptproblem. Die Menschen in der Bundesrepublik wollen wissen, wofür wir stehen. Und wir waren in den letzten Monaten offensichtlich nicht in der Lage, das ausreichend deutlich zu machen. Wenn man den Menschen deutlich macht, was der grüne Anteil an der Regierungspolitik ist, kann man sie auch wieder zurückgewinnen. Wenn wir uns streiten und gegenseitig demontieren, schreckt das die Wähler nur ab.
Die Bündnisgrünen sprechen sich innerhalb der Partei wohl auch nicht über wichtige Themen ab .
Wir haben unsere Gremien dafür. Der interne Koalitionsausschuss tagt regelmäßig, und ich fände es sinnvoll, wenn die Minister auch regelmäßig daran teilnähmen. Da ist der Ort, wo Absprachen zwischen Bundesvorstand, Fraktionsvorstand und Minister erfolgen. Ich finde es gut, wenn Joschka sich da wieder mehr einklinkt. Aber das darf er nicht an Bedingungen knüpfen.
Interview: Annette Rogalla
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