: Grüne Selbstdemontage schreitet voran – auch Joschka hilft mit
■ Kurz vor der Wahl desavouiert Joschka Fischer seine Parteisprecherinnen. Gunda Röstel verliert in Sachsen anderthalb Prozent. Heute kehren grüne Gremien Scherben zusammen und beraten über eine neue Parteistruktur
Kurz vor der Sachsenwahl ließ er die Bombe hochgehen: Außenminister Joschka Fischer forderte, die beiden Parteisprecherinnen der Grünen, Gunda Röstel und Antje Radcke, sollten zurücktreten und durch ein anderes Duo ersetzt werden – so lautete eine kurze Vorabmeldung vom Spiegel. Als Gegenleistung biete Fischer an, „sich in den kommenden zweieinhalb Jahren weit mehr als bisher zu Wahlkampf- und Werbungszwecken zur Verfügung zu halten“. Ein „Erpressungsversuch“, empört sich die Partei quer über alle Flügel.
Der Spiegel meldet, Fischer wolle sich als „Quasi-Präsident an die Spitze der Grünen setzen“ – jedoch ohne das Amt des Vorsitzenden offiziell zu übernehmen. Er fordere, die Trennung von Amt und Mandat aufzuheben und einen „Generalsekretär“ zu installieren. Außerdem verlange er eine aus dem Parteiapparat ausgegliederte Wahlkampfzentrale.
Parteistrategen berichten, die Vorschläge Fischers zur Reform der Parteistruktur seien inzwischen durchaus mehrheitsfähig. Dadurch, dass er sie jedoch zuerst dem Spiegel verraten und mit Rücktrittsforderungen verbunden habe, schade er der Sache enorm. Auf der heutigen Sitzung des Parteirates, an der die Spitzen von Fraktion, Partei und den Landesverbänden teilnehmen, würden Grüne aus verschiedenen Lagern Fischer vorwerfen, er verhalte sich „arrogant“ und „parteischädigend“. Die beiden von Fischer demontierten Parteisprecherinnen reagierten wütend. „Er scheint zu glauben, dass die Partei auf den Knien vor ihm herumrutscht und um seine Hilfe fleht“, empörte sich Antje Radcke. Sie und Gunda Röstel seien vom Parteitag bis Dezember 2000 gewählt, „und solange der Parteirat nichts anderes will, sehe ich keinen Grund zurückzutreten“.
Gunda Röstel hatte zwar am vergangenen Montag angedeutet, sie werde möglicherweise zurücktreten, sollte das Wahlergebnis ihrer Partei am Sonntag in Sachsen besonders schlecht sein. Ob der Fall von 4,1 auf 2,5 Prozent desaströs genug für einen Rücktritt ist, wird Röstel frühestens heute bekannt geben.
Doch Fischers Äußerungen haben sie nun darin bestärkt, ihr Amt doch nicht aufzugeben. Sie werde sich „von westdeutschen Strippenziehern, die mir mit ihrer unseligen Personaldebatte vor der Wahl richtig in den Rücken geschossen haben“, nicht klein kriegen lassen. Zugleich forderte Röstel, Fischer als „populärster Politiker der Grünen“ müsse sich stärker als bisher in die Parteiarbeit einklinken. Sie sei sich mit Fischer einig, dass die Grünen eine Strukturreform brauchten.
Der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Simmert vom linken Flügel der Partei will Fischer im Parteirat auffordern, „die Arroganz der Macht abzulegen“. Gegenüber der taz sagte er, Fischer verhalte sich „parteischädigend und unverschämt“. Er sei von Fischer „maßlos enttäuscht“: Simmert fordert wie viele Grüne seit langem ein stärkeres parteipolitisches Engagement des Außenministers. Es reiche nicht, wenn Fischer ab und zu einfliege und auf einem Parteitag eine Brandrede halte. Während des Kosovo-Krieges nahmen ihm seine ParteifreundInnen noch ab, dass er als Außenminister wenig Zeit für die Partei hatte, doch inzwischen ist ihr Geduldsfaden gerissen.
Nach den schlechten Ergebnissen bei den vergangenen Landtagswahlen ist allen klar geworden, dass es so nicht weiter geht. „Ich muss wieder ins Geschirr“, hatte Fischer schon vor einigen Tagen erklärt. Doch einen „Quasi-Präsidenten“, der nach seinem Gutdünken Parteisprecher entlässt, will natürlich niemand. Immer wieder tauchte in den vergangenen Wochen die Idee auf, die Doppelspitze abzuschaffen und Fischer zum Parteivorsitzenden zu küren. Eine Bundestagsabgeordnete vom Realo-Flügel meint hierzu: „Wenn Fischer das wirklich will, kommt daran niemand vorbei.“
Sogar Vertreter des linken Flügels würden diese Möglichkeit ernsthaft diskutieren. Es sei besser, Fischer in die Pflicht zu nehmen, als ihn „als informellen Vorsitzenden schalten und walten zu lassen.“ Doch nach Fischers „Erpressungsversuch“ im Spiegel seien diese Pläne erst mal vom Tisch. Und auch die Absicht der Realos, die Berliner Spitzenkandidatin Renate Künast und den Stuttgarter Fraktionsvorsitzenden Fritz Kuhn als Parteisprecher zu installieren, werden sich nicht so einfach realisieren lassen.
Die Trennung von Amt und Mandat müsste auf einem Sonderparteitag mit Zweidrittelmehrheit aufgehoben werden. Der jüngste Coup Fischers hat jedoch auf allen Seiten solchen Ärger ausgelöst, dass auch diese Entscheidung schwierig werden wird. Trotzdem wird Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer heute in den Führungsgremien der Grünen dafür plädieren, die Trennung von Amt und Mandat weitestgehend abzuschaffen. Er schlägt die Errichtung eines Parteipräsidiums vor, das an die Stelle des bisherigen Parteirats treten soll. Neben dem Vorstand sollten ihm zehn weitere Mitglieder angehören, die vom Länderrat auf Vorschlag zu wählen seien.
Tina Stadelmayer, Berlin
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