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„Schlafen, schlafen, schlafen“

Der Urheber der goldenen Aktienregeln, André Kostolany, ist tot. Den einen galt er als Inbegriff des neuartigen Finanzkapitalismus, die anderen feierten ihn als Wegbereiter des deutschen Börsenfiebers  ■   Von Hermanus Pfeiffer

Hamburg (taz) – „Aktien soll man kaufen und dann schlafen, schlafen, schlafen“, empfahl der Finanzexperte André Kostolany immer wieder seinen Zuhörern und den Millionen Lesern seiner Bücher in aller Welt. „Später sollen die Aktien dann an die Enkel vererbt werden.“ Ob Kostolany seinen eigenen Worten gehorchte und die Enkel profitieren, wird sich bald zeigen. Am Dienstag gab seine Familie bekannt, dass der sagenumwobene Börsenfachmann und Spekulant am 14. September im Alter von 93 Jahren in Paris einem Herzversagen verstarb.

Seit 1924 war der eingebürgerte US-Amerikaner Kostolany auf dem Börsenparkett wie zu Hause. Und häufig bestätigte das Marktgeschehen den späteren Senior-Spekulanten und personifizierten Inbegriff des zitierfähigen Aktienspruchs. Seine Klassikertipps gelten auch heute noch unter Experten als die goldene Regel für Privatanleger. Wer, von Kostolany lernend, im vergangenen Jahr – als der Dax von 5.000 auf 3.900 Punkte absackte – seine Nerven im Zaume hielt, konnte Silvester einen durchschnittlichen Wertzuwachs für 1998 von immerhin 16 Prozent feiern.

Der deutschsprachige Kostolany wurde am 9. Februar 1906 als Sohn reicher Industrieller in Ungarn geboren. Er ging in Budapest zur Schule – wie eine andere Spekulantenlegende: George Soros. Die Europa überrollenden Nazis zwangen die jüdische Familie zur Flucht nach Amerika. In den USA war Kostolany von 1941 bis 1950 Generaldirektor der Ballai Financing Company. Dieser Praxisschock ließ den früheren Philosophie- und Kunststudenten (Berufziel: Kunstkritiker) zum Finanzberater, autodidaktischen Journalisten und Spekulanten heranreifen. Mehr als 60 Jahre wirkte der Ritter der französischen Ehrenlegion als Aktienakteur, Beobachter und Vermittler seiner eigenen Einsichten. Der „Partisan des Kapitalismus“ (Munzinger-Archiv) galt als origineller Geist und munterer Plauderer. Sein K. u. K-Kaffeehaus-Charme wurde freilich nicht von jeder Frau geschätzt.

Auch mehrere Bestseller verhalfen Kostolany, anders als Soros, nicht zu Einfluss in der Wirtschaftspolitik – trotz entsprechender Bemühungen seinerseits. Immerhin hat sich sein Dollar-Optimismus bis heute als berechtigt erwiesen: „Wer den Dollar nicht hat, wenn er fällt, hat ihn auch nicht, wenn er steigt.“ Seit Jahren lebte der amerikanische Staatsbürger wieder in Europa, unter anderem in München, und schrieb für Wirtschaftszeitschriften, unter anderem für Capital in Deutschland. Die Summe seines Lebens zog er bereits in seinem 1991 erschienenen Buch „Börsenpsychologie“. Darin galt er als wahrer Meister.

Konstolanys Bonmots stachen. So kam kein Widerspruch, als er Mitte der Neunziger feststellte: „Die Deutschen haben keine Ahnung von Börse und Aktien.“ Immerhin gehört er zu denjenigen, welche den modernen Börsenkapitalismus selbst hier zu []Lande popularisiert haben. Seit Einführung der Telekom-Anteilsscheine ist „die Aktie“ kein Tabu für Normalverdiener mehr. So purzelte auch ab und zu eine Brosame für Kleinsparer von Kostolanys Börsentisch: „Was raten Sie Menschen mit wenig Geld?“, wurde Kostolany einmal gefragt. „Fondsanteile kaufen. Da bekommen sie mit kleinen Beiträgen eine ordentlich gemischte Palette.“ Bei relativ geringem Spekulantenrisiko sind die Chancen auf eine höhere Rendite als beim Sparbuch recht ordentlich. Dieser Kostolany-Tipp deckt sich mittlerweile mit den Ratschlägen von Stiftung Warentest oder von Verbraucherschützern.

Dem Establishment galt er als strahlender Guru in ihrer Domäne, der Börse; der Linken war er bitterer Inbegriff des Finanzkapitalismus. Immerhin leiden selbst linke Geldkritiker nun an seinem Tod: Nach der Ermordung des Deutsche-Bank-Strategen Alfred Herrhausen und dem Tod von Hermann Josef Abs verschwindet mit Kostolany ein weiterer großer Gegner vom Parkett.

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