Den Massenprotesten fehlen die Massen

■ Der Auftakt der Demonstrationen gegen Milosevic ist für Serbiens Opposition enttäuschend. Das Regime wartet erst einmal ab

Wenn durch die Demonstrationen auch diesmal nichts geschieht, dann haue ich endgültig aus diesem Land ab

Belgrad (taz) – Vollmundig waren die Massendemonstrationen gegen den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Miloševic und sein Regime angekündigt worden. Doch der gestrige Auftakt war für die „Allianz für den Wandel“ eher enttäuschend. In ganz Serbien folgten nur etwa 60.000 Menschen dem Aufruf der Allianz.

Der geringen Beteiligung zum Trotz beteuerten die Vertreter von 39 Oppositionsparteien und einigen unabhängigen Gewerkschaften, das sei nur der Anfang. Die Bürger müssten so lange auf der Straße ausharren, bis Miloševic zurücktrete. Mit dem Regime könne man nicht verhandeln, es gebe kein Zurück. Deshalb werde der Protest täglich weitergehen.

Im Zentrum Belgrads versammelten sich mehrere tausend Unzufriedene, unter ihnen auffallend viele Schüler und Studenten, und blockierten einige Studenten lang den Platz der Republik. „Wir wollen ein Serbien, in dem das Recht regiert, und nicht die Mafia“, donnerte Vuk Obradovic, Ex-General der jugoslawischen Armee und Vorsitzender der „Sozialdemokratie“. Begeistert schrie die Masse „Weg mit Miloševic!“ und „Slobo, deine Tage sind gezählt!“

Und Zoran Djindjic, die schillernde Figur der Allianz, verschärfte den Ton: „Jeden Tag werden die Bürger Serbiens das Regime für seine Verbrechen verurteilen, und nach etwa zehn Tagen werden wir das Urteil vollstrecken“, verkündete der Demokrat.

„Das möchte ich sehen. Wenn nichts geschieht, dann haue ich endgültig aus diesem Land ab“, sagte ein zwanzigjähriger Student skeptisch. „Unsere Oppositionspolitiker versprechen ständig etwas. Wenn sie ihr Versprechen nicht halten können, treten sie nicht zurück, und sie machen das Regime dafür verantwortlich“, fügte ein Mädchen trotzig hinzu. Doch diesmal würde sie Djindjic beim Wort nehmen. Der hat diesmal geschworen, bis „zum bitteren Ende zu gehen“ und, falls es ihm nicht gelingen sollte, das Regime zu stürzen, als Chef der „Demokratischen Partei“ abzutreten.

Slobodan Miloševic kann sich zufrieden die Hände reiben und mit seiner Gemahlin Mira Markovic Tee trinken und abwarten, was er in Krisensituationen ohnehin am liebsten tut. Es scheint so, als ob den Bürgern Serbiens der Elan fehlt, erneut monatelang zu demonstrieren. Der Aufruf der Allianz, das Regime mit Volksversammlungen zu stürzen, kommt beim Volk nicht an. Denn schon einmal, im Winter 1996/97, hatte der gleiche Djindjic die Massendemonstrationen gegen Miloševic erfolgreich angeführt, Änderungen waren ausgeblieben.

Jedoch kann niemand voraussagen, was in den nächsten Tagen in Serbien passieren wird. Das Regime verhält sich passiv, beschränkt sich immer noch auf verbale Angriffe und versucht durch seine Propagandamaschinerie die Opposition zu diskreditieren.

„Djindjic und seine aggressiven Mitläufer wollen politische Wahlen durch Gewalt ersetzen und sich mit allen, die anders denken, physisch auseinandersetzen“, erklärte Ivan Markovic, Pressesprecher der „Jugoslawischen Linken“. Djindjic sei ein Faschist, den Amerika bezahle, um Serbien von allen „Patrioten zu säubern“.

Wie es scheint, erwägen die Vertreter der regierenden „Kriegskoalition“ nicht einmal die Möglichkeit, die Macht abzugeben.

Die Kraft des Volkswiderstands hängt maßgebend von der Einigkeit der Opposition ab. Der Führer der „Serbischen Erneuerungsbewegung“, Vuk Draškovic, der sich bis vor kurzem noch für vorgezogene Wahlen eingesetzt hatte, könnte nun doch seine Anhänger zu Straßenprotesten aufrufen, allerdings mit anderen Forderungen als die Allianz. „Wenn das Regime nicht bald vorgezogene Wahlen unter demokratischen Bedingungen ausschreibt, werde ich die Demonstrationen persönlich anführen“, erklärte er. Andrej Ivanji