Zwischen den Rillen: Verelendung in Dur
■ Ben Harper macht statt Blues mehr auf MTV, Terry Callier lauscht den Lerchen
Ausgerechnet Heavy Metal. „Wenn du glücklich damit bist, nichts zu haben, dann wirst du glücklich mit mir sein“, so oder ähnlich röhrt ein tiefer gelegter Männerchor, die Gitarren arbeiten sich stur ein paar gerade Dur-Akkorde entlang, dann knirscht Ben Harper auf „Less“ noch einmal „so happy with nothing, so happy with me“, und man denkt an Metallica. Seltsam, dabei hatte das Stück doch mit Berimbau-Getrommel begonnen. Und Harper gilt als feinfingeriger Singer/Songwriter, der sich bislang auf seinen drei Schallplatten ganz wenig nur an HipHop, aber immer wieder begeistert an urbanem Blues- und Klagegesang orientiert hatte.
Tatsächlich stehen die Zeichen für Authentizitätsfanatiker gar nicht mal so schlecht. Wo immer derzeit an Rockismen herumgeschraubt und Stile demontiert werden, hört man zugleich den Wunsch nach etwas mehr Verbindlichkeit heraus. Nach dem Stöbern in der Geschichte und dem Sampeln der Fundstücke wird erneut Wert auf die Echtheit der Erfahrung gelegt. Helden sind wieder gefragt: Laden sich nicht alle möglichen jungen Bands Altvordere wie David Bowie zum Duett ein, damit der eigene Weltschmerz an Tiefe gewinnt? Freut sich nicht Oasis-Klotzkopf Noel Gallagher, dass er bei Paul Weller im Studio mitdoktern darf, während sich Paul Weller freut, wenn er für Robert Wyatt ein paar Gitarrenspuren einspielen darf?
Im Fall Ben Harper ist der Werdegang deshalb umso paradoxer. Vor fünf Jahren saß der kleine Mann mit gepflegt eingelegten Zöpfchen auf der Bühne des Brooklyn Center for the Arts. Auf seinem Schoß lag eine Weissenborn-Gitarre, ein Instrument, das deutsche Einwanderer zur Jahrhundertwende in die USA importiert hatten. Statt Hausmusik gab es bei Harper bloß enorm reduzierte Bluesstücke, ab und an um einige afrikanische Perkussionsinstrumente erweitert. Dazu passten die Texte aus dem afroamerikanischen Alltag: Nachdenken über Rodney King oder die Freude über Mutters neue Freundin, die ihr den saufenden Gatten ersetzen sollte.
Harpers Experimentierwille beschränkte sich auf ein bisschen Raggae hier und ein bisschen HipHop dort, ansonsten war das Instrumentarium begrenzt. Auf „Burn to shine“ ufern die Interessen nun aus: Wer MTV-Pop mag, bekommt „Steal my kisses“ – Wüstensandästhetik, Streetsoul-Harmonien und human beatbox inklusive; wer auf Roots steht, wird mit dem 20er-Jahre-Dixie „Suzie Blue“ bedient, und wer es ganz hart braucht, kann sich beim Titeltrack „Burn to shine“ zum Liebemachen auf seine Harley schwingen oder bei „Less“ mit dem Head bangen.
Vermutlich wird Harper den Wandel vom Barden zum schnaubenden Rocker als Fortschritt verbuchen. Schließlich hatte er schon früher in Interviews für Marshall-Verstärkertürme geschwärmt und war auch dem Remixen seiner Songs nicht abgeneigt.
Bei den neuen Stücken fragt man sich allerdings, was es da noch groß zu mixen gibt: Mächtig durchproduziert rauschen die Songs vorbei und reichen für die paar Puristen, die bis zum Ende ausgeharrt haben, eine fromme Ballade auf „Lord's Arms“ nach. Das Marktsegment stimmt, das weiß man seit der letzten Red-Hot-Chili-Peppers-Platte. Jetzt muss man nur noch mehr neue Hörer finden, die von Sleaze- auf Bluesrock umsteigen. Ob das funktioniert?
Bei Terry Callier war man sich im vergangenen Jahr einig, dass es funktioniert. Black-Folk-Revival, Singer/Songwriter-Soul und Acid-Jazz allerorten, der Mann aus Chicago hatte den Major Deal bei Polygram allein deshalb in der Tasche, weil seine Lieder aus den frühen Siebzigerjahren ständig bei Gilles Peterson auf Radio One gespielt wurden. Was folgte, war mit „Time Peace“ ein Comeback nach 17 Jahren, auf dem Callier selbst esoterisches Bachplätschern und Pharoah Sanders am Saxofon in seine immer noch clubkompatiblen Grooves einbauen konnte. Dazu brachte Callier märchenonkelhafte Geschichten von fremden Ländern und verrätselte Lebensweisheiten in einem folkloristischen Ambiente zusammen – die Rückkehr zum „Age of Aquarius“, und warum auch nicht?
Viel hat sich an der Einstellung bei Callier nicht geändert, seit er 1972 in dem Song „Trance an Sedgewick Street“ vom friedlichen Miteinander diverser Christen- und Buddha-Jünger gesungen hat. Auch nicht auf „Life Time“. Dort hört man Lerchen, wenn der Morgen naht, dort hält man sich zu Blue Notes auf dem Fender-Rhodes-Piano an der Liebe fest; und wenn zum Protest aufgerufen wird, dann mit Engelszungen und mit auf unglaubliche Weise vertrackt ineinander geschobenen Akkorden.
Das alles mag bei einem ergrauten Sänger Ende Fünfzig, zu dessen frühen Hits die Northern-Soul-Wahnsinnigen noch immer ihre Samstagnächte durchmachen, als leicht entrückte Zuversicht des Alters durchgehen. Und ein Song wie „I don't want to see myself (without you)“ ist tatsächlich sieben Minuten lang so beglückend uplifting wie die Erinnerungen an Curtis Mayfield und die besseren Tage des Soul. Wer mit dermaßen leicht und melancholisch federnder Stimme von Moll zu Moll schwebt, während vom Elend auf Erden und der Versöhnung in einer fernen Zukunft die Rede ist, darf die Verhältnisse schon einmal zum Schmelzen bringen. Oder zum Tanzen.
Harald Fricke ‚/B‘ Ben Harper: Burn to shine (Virgin) Terry Callier: Life Time (Polygram)
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